Knausgård am Berliner Ensemble: Krisensitzung auf dem Klo
Alles muss rein, alles muss raus. Das Dresdner Staatsschauspiel beschäftigt sich mit dem Philosophen Arthur Schopenhauer und seinen Schriften, in der Box des Deutschen Theaters finden sich Klaus Theweleits „Männerphantasien“ wieder. Und am Berliner Ensemble dienen die Wälzer des norwegischen Selbsterforschers Karl Ove Knausgård als Vorlage eines zweieinhalbstündigen Theaterabends.
Die Regisseurin Yana Ross, die auch schon Bücher von David Foster Wallace und Virginie Despentes verarbeitet hat, will mit dieser Literaturadaption auch gleich „das Konzept patriarchaler Künstlerschaft in Frage stellen“. Warum muss das vollmundig angekündigt werden? Kann man nicht einfach mal schauen, wie sich der Abend entwickelt, ohne solche Floskeln, wie sie auch gern in Klappentexten stehen?
Kampf in der Küche
Doch geht es in eine andere Richtung. Das Bühnenbild von Bettina Meyer baut sich über mehrere Stufen auf. Hinten das Bücherregal und der Schreibtisch, schließlich lebt hier ein Schriftsteller. Links das große Sofa, rechts die Küche. Hat Yana Ross in der letzten Spielzeit Tschechows „Iwanow“ in einem Tennisclub versenkt, landet Karl Ove Knausgård nun auf der Toilette. Das Klo befindet sich vorn, in der Nähe der Rampe, der Schriftstellerthron. Daneben ein Grabstein.
Natürlich wurde eine Auswahl getroffen aus den sechs Bänden von „Min Kamp“. So heißt der vieltausendseitige Zyklus auf Norwegisch. Band sechs, „Kämpfen“, dreht sich tatsächlich um Hitler und „Mein Kampf“. Knausgård fand ein Exemplar des Buchs im Nachlass seines verstorbenen Vaters, das ist ja auch nicht schön. Und so spielt Paul Herwig den alten Knausgård als brutales Arschloch, nie ohne Kippe im Mund. Gabriel Schneider gibt den aufstrebenden Autor als zornigen jungen Mann, aber da ist viel Krampf und Angst und Verlorensein. Intensität äußert sich über die Lautstärke, Unglück zeigt sich in ungepflegten Klamotten.
Hitler in Wien
Was Yana Ross sich für Knausgårds Ringen mit dem inneren Faschisten in der Familie ausgedacht hat, kann man dann nur als peinigend bezeichnen. Der Schriftsteller-Darsteller parodiert den jungen Hitler in Wien vor dem Ersten Weltkrieg mit falschem Akzent und viel Einfühlung – fürchterlich daneben. Wie auch der Einfall, die Knausgård-Parade von einer Conferénce begleiten zu lassen, mit Cynthia Micas im Frack. Die Varieténummer zur Kriegsbegeisterung der Intellektuellen damals (Stefan Zweig, Sigmund Freud und Thomas Mann mit E-Zigarren) steigert die Peinlichkeit noch.
Hat Hitler nicht genug onaniert? Auch Knausgård kennt das Problem, da haben sich zwei irgendwie gefunden. Über allem steht das alte Künstlerdilemma: Wie geht die Arbeit mit dem Leben zusammen? Der Norweger walzt das Thema in seinen Büchern endlos aus, und das ist auch im BE der zweite große Komplex nach dem Hitler-Vater: die zermürbenden Konflikte um die Hausarbeit und Betreuung der Kinder. Kathleen Morgeneyer spielt die Mutter und die Ehefrau. Bei ihr wird der Schmerz spürbar, das Drama. Dass es hier um Menschen geht, nicht bloß um Pappkameraden.
Die Inszenierung von Yana Ross krankt an einem kapitalen Fehler. Knausgård verwandelt Windeln und Beziehungskrach in Bestseller. Er befreit sich aus einem Alltag, den er in Literatur umdreht, ob man das nun mag oder nicht. Viele Leserinnen und Leser schätzen die Titel, ein Phänomen: Warum lesen, was man zur Genüge kennt?
Und Yana Ross schickt das auf der Bühne zurück in die höllische Banalität, fängt den guten Karl Ove wieder ein, da wird fast jeder Schritt billig illustriert und kommentiert. Schreibmaschine, Papierstapel, Nudeln auf dem Herd: So sieht es aus bei Schriftstellers zuhaus. Bierflaschen und Zimmerpflanzen: Das sind die Kids. Blumentöpfchen als Babys. Aber aufpassen: Opa pinkelt überall rein. Und seine Leiche liegt überall herum.