Hinab ins Reich der Königin

Draußen tobt ein stürmisches Unwetter und pustet die Premierengäste in der 3G-Nachweis-Kontrollschlange im Eingang des Salzburger Landestheaters unbarmherzig mit Staub und abgerissenen Blättern voll. Und drinnen beginnt wenig später erneut eine Festspiel-Aufführung mit einem donnernden Rumms!

War es in Romeo Castellucis „Don Giovanni“ ein Auto, das aus dem Schnürboden auf die Bühne krachte, stürzt im Landestheater grollend Schutt auf die Vorbühne.

Gewirr aus Ziegelsteinen auf der Bühne

Das wuchtige Geräusch erinnert an ein Grubenunglück, könnte aber ebenso das Ende der Welt einläuten. Denn wenn danach sehr langsam der rote Vorhang aufgeht, gibt er den Blick frei auf ein graues Endzeitszenario, über dem die Dreckwolken des Gesteinsschlags sich nur langsam verziehen.

Der Boden dieser rauen Landschaft ist scheinbar bedeckt mit Gestein, das sich später als ein Gewirr verstreuter, teils übereinander geschichteter hohler Ziegelsteine erweist, aus dem sich nach und nach die zuvor unsichtbaren sechs Figuren – drei Männer und drei Frauen – herausarbeiten, auf die Regisseur Jossi Wieler Hofmannsthals Personal eingedampft hat.

Schauspielchefin Bettina Hering hatte zum alljährlichen „Jedermann“ ein weiteres Stück von Hofmannsthal in den Spielplan aufnehmen wollen. Mit Regisseur Jossi Wieler, der als Spezialist für sperrige Texte gilt, fiel die Wahl auf das 1899 geschriebene Stück „Das Bergwerk zu Falun“, in dem der junge Dichter auf eine Vorlage von E.T.A. Hoffmann zurückgriff.

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Am berühmtesten ist aber wohl Johann Peter Hebels kurze Erzählung des historischen Ereignisses aus dem 18. Jahrhundert, bei dem ein schwedischer Bergmann Jahrzehnte nach dem plötzlichen Verschwinden kurz vor seiner Hochzeit in einem Stollen gefunden wurde, durch Vitriol perfekt konserviert in seiner Erscheinung als junger Mann, und seine damalige Braut ihn wiedererkennt.

Hugo von Hofmannsthal hat den Kern dieser Geschichte um eine mythische Handlungsebene erweitert und gespiegelt, er erzählt die traurige Geschichte des Verwaisten Elis, der beschließt, der Welt zu entsagen, um in das verführerische Reich der Bergkönigin hinabzusteigen.

Texte wirken zeitlos aktuell

Außerdem gibt es noch den Untoten Torbern und weiteres Personal, überwiegend artifizielle Figuren, denen Hofmannsthal eine archaisierende Sprache in den Mund legt, die in Wielers Inszenierung dem Pathos nicht immer ausweicht, ihm dann aber distanziert nachzuhören scheint und es auch gelegentlich ironisiert.

In den besten Momenten wirken die Texte zeitlos aktuell, wie auch Anja Rabes Kostüme ganz im Heute verortet sind. Muriel Gerstners Ziegelstein-Wüste erweist sich als überraschend wandelbar und beschäftigt das Personal, das unentwegt mit Steinen hantiert.

Fragen nach Liebe und Existenz

So dienen sie etwa der grandiosen Hildegard Schmahl bisweilen als Wurfgeschosse gegen den alten Torbern (mit diskreter Intensität André Jung), später wird in Windeseile ein großer Steinkreis aufgebaut, den die Drehbühne in kreisende Bewegung bringt, der aber von Torbern mutwillig zerstört wird.

Hofmannsthals Figuren stellen sich allesamt letzte Fragen, nach der Liebe, nach der eigenen Rolle und liebäugeln mit dunklen Begierden und dem Todestrieb. Sie sind Sinnsuchende in einer Welt, die in Wahrheit in einer Endlosschleife das Immergleiche wiederholt.

Immer deutlicher wird im Laufe des Abends, dass Jossie Wieler nicht nur den alten Torbern als Untoten begreift, sondern alle Figuren, auch den jungen Elis (Marcel Kohler) in seiner zart sich anbahnenden Liebe zu Anna (Lea Ruckpaul). Wielers Inszenierung ist hoch musikalisch, souverän getaktet und treffsicher. Doch es mangelt schon Hofmannsthals Brocken an Vitalität, die Kunstanstrengung bleibt eher dröge.