Was Hertha BSC der Konkurrenz voraus hat

Kurz vor dem Abpfiff fingen die Fernsehkameras Pal Dardai ein. In Großaufnahme zeigten sie einen Mann, der zufrieden lächelte. Das passte a) ganz gut zum Spiel von Hertha BSC und war b) vermutlich alles andere als eine Momentaufnahme. Es wäre zumindest keine Überraschung gewesen, wenn Dardai, der Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten, am Donnerstagabend in einem fort gelächelt hätte. An Gründen für gute Laune herrschte jedenfalls kein Mangel.

Am Ende des Abends stand für die Berliner im zweiten ihrer drei Nachholspiele ein befreiender 3:0-Erfolg gegen den SC Freiburg, verbunden mit dem Sprung aus der Abstiegszone. Aber noch wichtiger als die harten Zahlen und Fakten waren die weichen Faktoren dieses Sieges. Vielleicht lächelte Dardai ja, weil ihm gerade ein wohliger Schauer über den Rücken lief. „Bei diesem Spiel kriegt man auch ein bisschen Gänsehaut“, sagte er.

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Dass die Situation für Hertha kurz vor dem Ende der Saison immer noch kompliziert ist, hat Gründe. Einer ist, dass der Kader der Berliner zwar überdurchschnittlich gut bestückt sein mag, dass eine Ansammlung von Individualisten aber noch lange keine Mannschaft macht. Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass sich in dieser Hinsicht etwas zum Positiven verändert. „Der Sieg ist schön. Noch schöner ist, dass die Jungs langsam verstehen: Was ist ein Team?“, sagte Dardai.

Am Donnerstag hatte man zeitweise das Gefühl, dass sich eine kleine Gruppe Ultras ins leere Olympiastadion geschlichen hätte. In Wirklichkeit handelte es sich um Herthas Ersatzspieler, die auf der Tribüne jeden gelungenen Spielzug und jedes erfolgreiche Tackling ihrer Kollegen mit Enthusiasmus feierten. „Das muss so bleiben“, sagte Dardai. „Die Ego-Dinge müssen zur Seite geschoben werden. Jetzt funktioniert der Teamgeist.“

„Ich habe die Eier dafür“, sagte Pal Dardai

Vielleicht aber lächelte Dardai auch, weil er sich kurz vor dem Abpfiff noch einmal an die Aufregung kurz vor dem Anpfiff erinnerte. Die Aufregung über die Aufstellung, die er für das Spiel erdacht hatte. „Viele Leute haben mit dem Kopf geschüttelt“, sagte Herthas Trainer. Von der Startelf, die drei Tage zuvor gegen Mainz 05 einen wichtigen Punkt ergattert hatte, waren nur Torhüter Alexander Schwolow und Mittelfeldspieler Mattéo Guendouzi übriggeblieben.

Alle anderen Spieler waren neu, darunter Peter Pekarik, der seit fast drei Monaten nicht mehr zum Einsatz gekommen war. Oder Dedryck Boyata, der im Hinspiel gegen Freiburg kurz vor Weihnachten, zum letzten Mal von Anfang an gespielt hatte. Oder Javairo Dilrosun, der in diesem Jahr ganze 33 Minuten auf dem Feld gestanden hatte. Vielleicht also lächelte Dardai auch, weil sein Plan vollumfänglich aufgegangen war. „Wenn es nicht funktioniert, lachen alle“, sagte er. „Aber ich habe die Eier dafür.“

Schon kurz nachdem Herthas Mannschaft sich in Quarantäne hatte verabschieden müssen, hat Sportdirektor Arne Friedrich die Idee ins Spiel gebracht, die eng getakteten Nachholspiele mit zwei unterschiedlichen Teams im Wechsel anzugehen. Als Dardai dazu befragt wurde, äußerte er sich eher vage und ausweichend. Aber Friedrichs Vorschlag fand er wohl alles andere als verwegen. Und auch wenn sich seine Assistenten eher skeptisch äußerten: Nach dem Training der Reservisten am Dienstag war sich Dardai sicher: Wir ziehen das so durch.

Die vermeintliche B-Elf bestand aus acht Nationalspielern

„Dass rotiert werden würde, war klar. Dass so viele Spieler ausgetauscht werden würden, war auch für uns eine Überraschung“, sagte Torhüter Schwolow. „Überragend, wie die Jungs es gemacht haben. Aber im Training zeigen sie, was sie können.“ Es war keine wild zusammengewürfelte Truppe, die Dardai aufs Feld geschickt hatte, sondern eine, die sich aus diversen Trainingsspielen schon leidlich kannte. „Man hat schon gespürt, dass die Jungs Spaß haben, dass sie willig, dass sie bissig sind“, sagte Herthas Trainer. „Ich habe gespürt, das wird funktionieren.“

Die vermeintliche B-Elf war für Sportdirektor Friedrich auch „eine Top-Mannschaft“. Von den neun Neuen haben bis auf Jordan Torunarigha alle schon für die Nationalmannschaften ihrer Heimatländer gespielt. Mehr als die Hälfte der Spieler in der Anfangsformation sind seit Januar 2020 verpflichtet worden, mal für viel Geld (Omar Alderete, 6,5 Millionen Euro), mal für sehr viel Geld (Krzystzof Piatek, 23 Millionen Euro). „Gut, dass sich Hertha BSC so einen Kader leisten kann“, sagte Dardai. „Heute hat es sich ausgezahlt.“

Für Mattéo Guendouzi ist die Saison beendet

Das unterscheidet die Berliner von der Konkurrenz im Abstiegskampf. Hertha profitiert von den finanziellen Möglichkeiten, die sich durch den Einstieg von Investor Lars Windhorst ergeben haben. Kein anderer Abstiegskandidat besitzt eine derartige Breite in seinem Kader. Gerade angesichts der hohen Frequenz, mit der die Berliner in den entscheidenden Wochen antreten müssen, ist das eine wichtige Hilfe.

Allerdings wird Hertha – wie schon befürchtet – fortan auf Mattéo Guendouzi verzichten müssen. Die Untersuchung am Freitag brachte die Gewissheit, dass er sich den Mittelfuß gebrochen hat und in dieser Saison nicht mehr spielen kann. Auch der Einsatz von Sami Khedira am Wochenende ist fraglich. Er klagt über muskuläre Probleme in der Wade.

„Wir brauchen alle Mann, das haben wir heute gesehen“, sagte Verteidiger Niklas Stark. Schon am Sonntagabend geht es weiter. Dann empfangen die Berliner die punktgleiche Arminia aus Bielefeld, die durch Herthas Sieg gegen Freiburg auf den Relegationsplatz zurückgefallen ist. Vermutlich wird Dardai dann wieder in die Ausgangsposition aus dem Mainz-Spiel zurückrotieren. An mangelnder Akzeptanz der Mannschaft dürfte es nicht scheitern. „Alle wollen. Das motiviert auch die Spieler, die nicht gespielt haben“, sagte Pal Dardai. „So kommt Konkurrenzkampf rein. So lebt die Mannschaft.“