Kaberettistischer Jahresrückblick: Eine Lektion in Überlebenshumor

Vor kurzem hat Thomas Gottschalk als Moderator des Jahresrückblicks auf RTL für einen Eklat gesorgt. Beim Kabarettistischen Jahresrückblick im Mehringhoftheater – gewissermaßen das linksalternative Gegenprogramm zu „Menschen, Bilder, Emotionen“ – lässt sich bei allen verbalen Spitzen fast schon Harmonieseligkeit beobachten.

25 Jahre moderierte Angela Merkel in Gestalt von Christoph Jungmann den Jahresrückblick. Nach dem Abschied der Kanzlerin 2021 stellte sich die bange Frage: Was wird aus dem Jahresendzeitteam? Werden sich Bov Bjerg, Horst Evers, Hannes Heesch, Manfred Maurenbrecher und eben Jungmann von diesem herben Schlag erholen? Und wer soll der Kanzlerin, die es mit all den Alpha-Rüden in der Politik aufnehmen konnte, nachfolgen? Vor kurzem sickerte durch, eine „andere Frau“ werde nun moderieren. Doch das Publikum wird erst mal auf die Folter gespannt.

Manfred Maurenbrecher eröffnet den Abend mit dem Lied „In diesem Frieden in dem Krieg“. Er schlägt ernste Töne an, freut sich aber, dass er diesmal auf einem Flügel spielen darf. „Ukraine? Ist das nicht da, wo der Opa begraben ist?“, fragt Bov Bjerg sarkastisch zu Beginn seines wütenden Monologs.

Er attackiert dann die deutschen Intellektuellen, die in mehreren Offenen Briefen forderten, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. Besonders Alice Schwarzer bekommt hier ihr Fett weg, aber auch der TV-Philosoph Richard David Precht, der „deutsche Diogenes“.

Parodist Hannes Heesch schlüpft in die Rolle von Gerhard Schröder, Putins „teuerstem Freund“. Bei seiner Mission will er sich zunutze machen, dass seine Frau So-yeon offenbar ein Medium ist. In einem Moskauer Hotel ist der Geist Ivan des Schrecklichen in sie gefahren, auf dem Friedhof Ohlsdorf wollte Schröder dann Kontakt zu Helmut Schmidt aufnehmen.

Ein Friedensplan kommt auch mit übersinnlichem Beistand nicht zustande, aber seine Frau hat schon mal eine Patchwork-Tischdecke für Putins großen Tisch genäht. „Das ist wahre feministische Außenpolitik“, schwärmt Schröder. Pech nur, dass Se-yeon das Tuch aus den blau-gelben Trikots von Eintracht Braunschweig gefertigt hat.

Und dann tritt endlich die neue Moderatorin auf: Franziska Giffey! Die Regierende Bürgermeisterin, verkörpert von Jungmann in kobaltblauem Kleid, legt wieder einen demonstrativen Frohsinn an den Tag. Und bringt damit Horst Evers, den sie als Autor von „Gute-Laune-Texten“ ankündigt, fast aus dem Konzept.

Evers erklärt dann erst mal, was der Begriff „Wahlwiederholung“ eigentlich meint: „Alle müssen das wählen, was sie vorher gewählt haben. Wie immer erzählt er kleine Geschichten über die Absurditäten des Alltags. Angesichts des galoppierenden Irrsinns findet er: „Die einzige Chance, nicht verrückt zu werden, ist, schon verrückt zu sein.“

Nach einem Zoom-Gespräch mit Elon Musk (sie ist sich nicht sicher, ob es der echte ist) eilt Giffey davon, sie muss noch zur Weihnachtsfeier der SPD Rudow.

Nach der Pause übernimmt dann, nein, nicht Annalena, sondern Robert Habeck. Dessen Kommunikationsstil trifft Heesch sehr gut. Habeck kumpelt sich ran und fängt bald wieder an zu dozieren, Kreativität durch Innovation! Die Stehlampe schließt er doch nicht an wegen der negativen Öko-Bilanz. Merkel schaut kurz vorbei und liest ein Kapitel aus ihren unveröffentlichten Memoiren vor. Ihr Rat an den Grünen: Er solle mal loslassen.

Aufregerthemen werden auch wieder in Songs behandelt. Die Pannenserie bei der Bahn wird in einer Coverversion von „Gangsta’s Paradiese“ aufs Korn genommen. „Sag mir, wann wird die Bahn nach welchen Plan wohin fahrn – und gibt’s da WLAN?“ lautet der kollektive Seufzer.

Ausgelassene Stimmung kommt dann beim Rausschmeißer-Song auf: Die Hymne „Ich steh auf Berlin“ von Ideal wird umgetextet. Und so lautet der Refrain: „Ich fühl mich gut, ich wähl in Berlin.“ Dazu tanzen alle wild über die winzige Bühne, Die fabulösen Fünf laufen zur Höchtsform auf und präsentieren eine Lektion in Überlebenshumor. Ohne den würde man in dieser Stadt untergehen.

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