Sie ist die wichtigste Bildhauerin der Gegenwart
Der Blick zurück führt in die Kühlkammer. Ein halbes Jahrhundert liegt zwischen den Arbeiten von Isa Genzken in der Kunstsammlung NRW im Düsseldorfer K21: unten das frühe, kristallklare Werk aus den 1970ern, oben im zweiten Stock Bilder und Figurenensembles der jüngeren Gegenwart. Es ist, als begegne man zwei vollkommen unterschiedlichen Künstlerinnen.
Die Ausstellung unterstreicht dieses Auseinanderfallen einer wegweisenden Position des 20. Jahrhunderts durch zwei Ausstellungstitel. „Werke von 1973 bis 1983“ liefert exakt wie angekündigt „Ellipsoiden“ und „Hyperbolos“ aus jener Zeit, in der die 1948 Geborene auf sich aufmerksam gemacht hat.
Wie eingefrorene Artefakte liegen sie im Raum. Schmal, spitz, farbig akzentuiert und leicht gebogen. Vor allem aber so perfekt, dass ihr technoides Aussehen vollkommen gegen den Werkstoff steht: Genzken hat sie aus Holz machen lassen. Die Form der Skulpturen basiert im Kontrast dazu auf komplexen Computerberechnungen. Was das damals hieß, dokumentieren meterlange Ausdrucke auf damals üblichem Lochpapier, die selbst autonome Arbeiten darstellen – und maßgeblich für das perfekte Äußere der überlangen Formen sind.
Unübersehbar setzt sich die Künstlerin hier mit der – damals nahezu ausschließlich von männlichen Kollegen – gepflegten Formsprache des Minimalismus auseinander. 1977 ermöglichte ihr die Düsseldorfer Kunstakademie mit einem Stipendium die Reise nach New York und Los Angeles. Eine Begegnung mit der allgegenwärtigen, radikal abstrakten Strömung war unvermeidbar. Genzken eignet sich ihr Vokabular an, um daraus etwas anderes zu machen. Ihre Werke tragen Titel wie „David“ oder „Diana“. Eine Nuance im Konzept mit enormen Konsequenzen: Solche Namen werfen die Assoziationsmaschinen der Betrachter an, aus den konstruktiven Körpern der Skulpturen erstehen Ideen von Eigenschaften, die ihre Schöpferin (vielleicht) mit konkreten Personen verbindet.
„Selbstbewusstsein und Kompromisslosigkeit“ attestiert ihr der begleitende Text zur Ausstellung, einer Übernahme aus dem Kunstmuseum Basel von 2020. Doch nur im Katalog wird erklärt, woher der Impuls kommt, sich dieser unterkühlten Sprache auszusetzen, um sie ein Stück weit umzudeuten. Der begleitende Text von Jutta Koether entwirft ein Szenario von „extremen Abhängigkeiten, in denen sich das heterosexuelle Frauenselbst“ der 1970er befand. Es ging um die Sprache der Kunstkritik(er) ebenso wie um die – von Professoren geprägte – Lehre an den Akademien. Genzken, erst Studentin und bald Ehefrau von Gerhard Richter, erlebt den klassischen Double Bind. Eine Kommunikation als Missverhältnis: Wer sich den verbalen Regeln nicht beugt, wird ausgeschlossen. Weshalb sonst steht ein Radio im Ausstellungsraum, dem die Künstlerin 1982 den Titel „Weltempfänger“ gab? Ein Ready made, das als Beton-Nachguss noch mehrfach in ihrem Werk auftaucht, ein Symbol der unterbrochenen Verbindung.
Kleidertausch vor der Videokamera
Ein anderes Rätsel innerhalb der Schau ist das Video „Zwei Frauen im Gefecht“ (1974). Das grobkörnige Dokument eines mehrfachen Kleidertausches vor der Kamera, der die Frage nach den Identitäten der beiden Darstellerinnen Isa Genzken und Susan Grayson stellt. Neben den reduzierten Skulpturen erklären sich solche Arbeiten nicht; wohl jedoch, wenn man sie als Episoden versteht. Genzken durchmisst die Stile, stößt auf Extreme wie den Minimalismus und feministische Bekenntnisse wie das Tapp- und Tastkino von Valie Export von 1968 – und findet dazwischen ihre eigene Sprache. „Werke von 1973 bis 1983“ reduziert diesen Weg auf die geometrischen Figuren und drapiert ein paar Arbeiten dazu, die sich ohne den Hintergrund nicht erklären.
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Dabei ist das Werk jener Phase so viel reicher, verhandelt in Genzkens Betonhäusern auf Stelen nicht zuletzt architektonische Themen. Das hat man wohl auch im K21 gedacht und sich zur Ergänzung entschieden, springt allerdings abrupt ins „Hier und Jetzt“. Der zweite Teil der Schau konzentriert sich auf das Werk der Gegenwart: mit Collagen aus Spiegelfolie, Fotos und Sprayfarbe an den Wänden und Puppen im Raum, die teils monströs konstruiert sind, teils direkt aus dem Schaufenster zu kommen scheinen.
An ihnen dekliniert die Künstlerin soziale Verwerfungen wie Isolation, Armut oder Obdachlosigkeit. Genzken tut dies nie direkt, die Botschaften vermitteln sich eher über ein Gefühl des Unbehagens vor Figurengruppen wie „The Dorf“, in der jeder seine Markenkleidung verdreht, zerstört oder völlig falsch trägt. Eine Einzelfigur der Schauspieler-Serie hat Gold auf dem Kopf und ist gleichzeitig blind, andere wirken wie groteske Märchengestalten.
Es fehlt ein verbindendes Kapitel
Nur stellt sich keine innere Verbindung zwischen den beiden Etagen ein. Die Holzobjekte bleiben ebenso für sich wie die schrägen Puppen. Dass beide im Bildhauerischen angesiedelt ist, genügt nicht als Link, der gleich ein paar Jahrzehnte zu überbrücken vermag. Genzkens Werk wirkt nicht länger konsistent, sondern fast schon beliebig.
[K21, Ständehausstr. 1, Düsseldorf, bis 5. September, Di–Sa 11–18 Uhr, So 11–19 Uhr]
Eine halbe Retrospektive funktioniert einfach nicht. Diese Erkenntnis trägt sich trotz einiger Einsichten in Genzkens Kosmos aus jenen zwei seltsam unverbundenen Ausstellungen mit hinaus. Fast ist man versucht, im Stockwerk dazwischen ein verbindendes Kapitel zu suchen. Genzkens skyscrapers aus billigen Materialien zum Beispiel oder ihre Montagen aus Dinghaftem und Figürlichem. Sie würden zeigen, wie unabhängig die inzwischen 72-Jährige von ihren Materialien ist; dass sie je nach Aussage mit nahezu allem arbeiten kann. Die Reduzierung auf zwei Werkbereiche wirkt, als kenne Genzken nur Extreme: Früher war sie halt abstrakt, heute ist ihr Werk figürlich. Dabei lebt es genau von den Zwischentönen, dem Ungesagten, der Vieldeutigkeit.
„Hier und Jetzt“ mag als Ergänzung zum Verständnis der Künstlerin gedacht sein; auch als grelles, erzählerisches pimp up der Baseler Schau, die visuell ähnlich rigoros wie Genzkens Werk jener Jahre ist. Besser wäre es gewesen, das K21 hätte sich auf die kalte Schönheit jener Objekte verlassen, die noch ein halbes Jahrhunderts später eine schier unglaubliche Wirkung entfalten.