Kolumne „Mehrwert“, Folge 16: Schreihals oder Leisetreter

Wie laut soll man gegen Despoten protestieren, hilft stille Diplomatie den Opfern vielleicht besser? Als sich die Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban vergangene Woche zum zweiten Mal jährte, rückte auch diese Frage wieder auf die Agenda.

Das Leid der Frauen unter der fundamentalistischen Herrschaft der Taliban, die Wirtschaftskrise, die humanitäre Katastrophe nach dem überstürzten Abzug der internationalen Truppen – kann der Westen den im Stich gelassenen Menschen dort wenigstens mit diskreten Aktionen hinter den Kulissen helfen?

In der Regel ist Lautstärke kein schlechtes Mittel gegen Mullahs und andere Potentaten. Schon weil sie den Herrschenden selber als Mittel zur Macht taugt und der Lärm schon zu Römerzeiten als Waffe diente, wie der Journalist und Historiker Kai-Ove Kessler in seinem umfangreichen Sachbuch „Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms“ (Rowohlt, 432 S.) feststellt.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht? Wer Krach macht, sitzt entweder ohnehin am stärkeren Hebel und terrorisiert die anderen mit Kriegsgetrommel und Kanonendonner, Kirchengeläut, Orgelgebraus oder Jubelgeschrei. Oder es sind umgekehrt diejenigen, die sich nicht länger zum Schweigen bringen lassen und mit Pauken und Parolen auf die Straße gehen.

Gleichzeitig kann der Krach eine Bürde sein: Wer es sich leisten kann, bevorzugt es privat lieber leise haben. Das Fußvolk hingegen kann sich den akustischen Zumutungen des Industriezeitalters (Verkehr, Maschinen) oft kaum entziehen.   

Revolutionen stören jedenfalls das Ruhebedürfnis der Bosse, indem sie mit Trillerpfeifen und Megafonen behelligt werden. Lärm vertreibt wilde Tiere und böse Geister, Widerststand ist wie gesagt selten leise. Vom tumultartigen „Lärm von unten“ (Kessler) in der Französischen Revolution über den Blechtrommler Oskar bis zu „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, dem Slogan von „Fridays for Future“. Wobei Protest auch mal aus geräuschlos schrillen Bildern und schreiend stummen Gesten bestehen kann.

Wer lautstark auf sich aufmerksam macht, gewinnt ein Stück Macht, so die simple Gleichung. Sie besagt auch, dass Verstärkung nottut, wenn mutige Menschen in Afghanistan, Iran, Russland, Hongkong, Myanmar, Ungarn oder wo auch immer sich Gehör verschaffen wollen. Die freie Welt kann als Sprachrohr dienen, der Rest läuft dann gerne über stille Diplomatie.

Christiane Peitz schreibt hier regelmäßig über Grundwerte, Machtmissbrauch und Zensur.