Wie ich meine Liebe zu Juliette Binoche verlor
Ich war mal verliebt in Juliette Binoche – und ganz ehrlich: Wer war das nicht? Ich sehe sie vorm Berlinale Palast winken, von Weitem ist sie mir ziemlich nah und ja auch nicht zu übersehen in ihrem orangefarbenen Zweiteiler: Hose mit auffälliger Überlänge, Blazer mit auffälligem Ausschnitt.
Sie braucht lange für die Dutzenden angerückten Fotografen, muss immer wieder vor und zurück gehen, sich hin und her drehen auf dem Roten Teppich, der bisher eher wie ein Toter Teppich wirkte beim Pandemie-Festival, an diesem Abend aber zu glänzen scheint. Auch im Palast ist das Publikum entzückt, es applaudiert, fotografiert, jubiliert. Berlin in verliebt.
Sechs Zufälle und viele Tränen
Sie ist inzwischen 57, so steht’s im Internet, aber ihr Lächeln wirkt immer noch so draufgängerisch wie im Film „Drei Farben Blau“. Wer das nicht gesehen hat und sowieso die ganze Farbentrilogie, hat das Kino nie geliebt. Kann es überhaupt jemanden geben, der dieses Lächeln, das sie mit Leichtigkeit davonschickt, einzufangen vermag? Eher fängt man einen Schatten.
Ich hab mich in Juliette verknallt im zum Glück fast unendlich langen Film „Die unendliche Leichtigkeit des Seins“. Es ging darin um eine tiefe Liebe über drei Ecken mitten im Prager Frühling, bei dem sowjetische Panzer die Freiheit niederwalzten, aber nicht die menschliche Zuneigung zwischen einem Mann und zwei Frauen. Endlich mal ein Film, der auf eine andere Art grandios war als das ebenso grandiose Buch zuvor.
Der tschechische Romancier Milan Kundera schrieb darin, dass es mindestens sechs Zufälle braucht, um sich ineinander zu verlieben. Zugegeben, ich bin nicht ganz zu-zu-zu-zu-zu-zufällig hier im Berlinale Palast bei Juliette Binoche. So kann es natürlich nichts werden mit uns.
[Der tägliche Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leser:innen informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]
In ihrem neuen Film liebt sie einen Mann, doch dann taucht ihre alte Liebschaft auf und Sara, so heißt sie hier, zerreißt es hin und her. Der Film heißt, übersetzt man den englischen Titel ins Deutsche, verheißungsvoll: „Beide Seiten der Klinge“.
Doch dafür ist er seltsam unscharf, zu verspielt und zu verkopft zugleich, zu laut schreiend und zu romantisierend. Entschieden unentschieden wie das Leben, wenn man gleichzeitig miteinander schläft und weint. „Wenn Du jemanden liebst, geht es nie ganz vorbei“, sagt Sara. Der Schatten der Erinnerung bleibt haften in einem drin, manchmal scheint er hell nach draußen.
Als Juliette Binoche ein letztes Mal ihre kleinen Leberflecken auf dem Rücken und die vielen Tränen auf ihren Wangen gezeigt hat und nach Mitternacht der Vorhang fällt im Berlinale Palast, ist es endgültig aus zwischen uns beiden. Regisseurin Claire Denis und Schauspieler Vincent Lindon erheben sich und werden mit Applaus bedacht.
Ein Platz aber ist leer: Juliette ist nicht mehr da. Ein Mann buht. Ich verstehe ihn irgendwie, mag ihn aber trotzdem nicht. Ich kann meine enttäuschte Liebe nicht zeigen, den Schatten nicht mehr fangen.
Und wie ist der Film ausgegangen, diese Liebe zwischen zwei Männern und einer Frau über drei Ecken? Schon auf dem Heimweg hab ich es vergessen; nach Mitternacht durch die einsame Berliner Nacht.
Die bisherigen Berlinale-Kolumnen von Robert Ide:
Mit Schlafbrille und Claudia Roth ins Kino – Auftakt der Berlinale auf der Viruswelle
Von unfreiwilligen Erektionen und Schamhaartoupés – Wie Sex im Film wirklich funktioniert
Marius Müller-Westernhagen und der Putzmann vom Potsdamer Platz – Wie man einen Filmriss übersteht
Der Stoff auf unserer Haut – Atemmasken und Schönheitsmasken auf dem Festival