Unglückliches Paralympics-Ende: „Da war mehr drin“
Es sollte einfach nicht sein: Zwei Mal lag das deutsche Team bei ihrem letzten Auftritt bei den Paralympics zurück, zwei Mal gelang der Ausgleich, doch am Ende siegten dennoch die Ägypter. Nach fünf Sätzen (23:25, 26:24, 18:25, 25:22 und 8:15) landete die deutsche Mannschaft damit auf Platz 6.
“Ägypten hat das Spiel um Platz fünf knapp, aber verdient gewonnen”, resümiert Bundestrainer Michael Merten. Erst am Dienstag hatte sich entschieden, dass Deutschland trotz des 3:1-Sieges über Brasilien nicht im Halbfinale antreten würde. Nach den vorherigen Niederlagen gegen den Iran (0:3) und gegen China (1:3) fehlten dafür nur wenige Punkte. „Gegen Ägypten war deshalb auch im Kopf eine Verunsicherung zu spüren“, erklärt Merten. Dadurch sei das Spiel eng geworden. „Aber am Anfang des vierten Satzes haben wir dann mit mehr Risiko aufgeschlagen, dadurch konnten wir nochmal ausgleichen.“ Auch im fünften Satz habe man eine Aufschlagserie zumindest versuchen wollen, doch „unser bester Aufschläger hat das dann nicht mitgemacht und verweigert.“
Nationalspieler Florian Singer erklärt, es habe in allen Bereichen an Konsequenz gefehlt. „Wir konnten gegen Ägypten nicht das aufs Feld bringen, was wir eigentlich drauf haben, egal ob in der Annahme, im Zuspiel oder im Abschluss. Wir haben wieder zu viele Bälle ins Aus geschlagen, obwohl da keine Not am Mann war“, erklärt er.
“Wir sind schon niedergeschlagen”
Mit dem sechsten Platz zeigen sich die deutschen Sitzvolleyballer daher nicht wirklich zufrieden. „Wir sind schon niedergeschlagen, dass wir dieses Spiel verloren haben. Es ist nie schön, mit einer Niederlage aus dem Turnier rauszugehen, und die Platzierung insgesamt ist nicht das was wir uns erhofft hatten“, sagt Singer. Auch Merten betont, dass im Turnier „auf jeden Fall mehr drin gewesen wäre.“ Beim Sitzvolleyball gibt es bei den Paralympics nur acht Startplätze. Entsprechend umkämpft ist die Gruppenphase, bei denen sich die Erst- und Zweitplatzierten einer Gruppe direkt für das Halbfinale qualifizieren.
„Wir sind hier bei den Paralympics, da ist natürlich kein Wald- und Wiesenverein mehr dabei“, sagt Singer. Nach Mertens Einschätzung vor dem Turnier „liegen sieben Teams recht eng beieinander.“ Nur die japanischen Spieler, mittlerweile als Achter ausgeschieden, zählte Merten aufgrund der entscheidend geringeren Körpergröße nicht zu möglichen Medaillenkandidaten.
Ärger über verlorenes Spiel gegen China
„Wir haben einfach nicht immer unsere optimale Leistung gezeigt und sind unter unseren Möglichkeiten geblieben. Da gibt es einige Teams, die mehr von ihrem Leistungsniveau abgerufen haben“, erklärt der Bundestrainer. „Wir sind im Abrufen unserer Leistung nicht stabil, und daran müssen wir arbeiten. Und dann ist irgendwann auch mal deutlich mehr drin.“ Vor allem im Angriff habe man bei diesem Turnier Möglichkeiten liegen lassen.
Die Deutschen ärgern sich vor allem über das verlorene Spiel gegen China. „Hätten wir da gespielt wie gegen den Iran oder Brasilien, hätten wir das gewonnen“, ist Merten überzeugt. Auch Singer betont: „Gegen China haben wir die Punkte liegen lassen. Hätten wir da einen Satz mehr geholt, hätten nicht wenige Punkte zum Halbfinaleinzug gefehlt, darüber hätten wir gar nicht mehr gesprochen. Dann wären wir weiter gewesen.“ Die drei Sätze, die das deutsche Team gegen China verlor, endeten allesamt denkbar knapp mit 23:25.
Große Unterschiede in Trainingsmöglichkeiten
„Unterm Strich merkt man schon, dass wir nicht den Trainingsalltag haben wie die anderen Mannschaften“, berichtet Merten. In anderen Ländern gebe es professionelle Strukturen und staatliche Förderung, während deutsche Spieler nebenbei noch ganz normale Jobs hätten. „Der ägyptische Trainer hat mich gefragt, wie weit wir uns direkt vor dem Abflug nach Tokio treffen. Er hat damit gerechnet, dass ich ihm eine Anzahl an Wochen nenne, aber ich habe ihm eine Anzahl an Stunden genannt. Da hat er mich angeschaut und hat das gar nicht glauben wollen.“ Nach der erfolgreichen Qualifikation im Juni blieben dem deutschen Team nur etwa sechs Lehrgänge, zumeist an Wochenenden, um sich auf die Spiele vorzubereiten. Als alleinige Begründung für das deutsche Abschneiden will Merten das aber nicht gelten lassen: „Wir müssen in den Dingen, die wir gut können, dann einfach sehr gut sein.“
Und es gab durchaus Dinge, die gut funktioniert haben. „Ich war mit dem Zuspiel sehr zufrieden. Auch die taktischen Vorgaben haben die Spieler über weite Teile gut umgesetzt“, sagt Merten. Zufrieden ist er auch mit dem Auftreten der Spieler als geschlossene Mannschaft: „Wir haben sehr unterschiedliche Charaktere auf dem Spielfeld. Da muss man auch mal seine Persönlichkeit ein Stück zurücknehmen, um als Team zu funktionieren, und das hat gut geklappt.“
Dankbar für Paralympics
Was Merten noch wichtig ist: „Es ist schon so, dass wir hier unter Corona-Bedingungen spielen, aber das ist wirklich sehr gut organisiert. Wir fühlen uns hier sehr wohl.“ Sie seien einfach „sehr froh und dankbar, dass wir hier sein dürfen. Ich verstehe, dass ein Teil der japanischen Öffentlichkeit die Spiele als nicht so ideal empfindet, aber das Hygienekonzept wird wirklich gut und streng umgesetzt.“ Singer, für den es die ersten Spiele sind, erklärt: „Die Paralympics fühlen sich immer noch ein bisschen surreal an, das muss man im Nachhinein nochmal sacken lassen. Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, ich habe 2012 gesehen, wie die Jungs Bronze gewonnen haben, und da habe ich gesagt: Ich will einmal bei den Paralympics dabei sein.“ Die Atmosphäre im Dorf sei “Wahnsinn” gewesen, auch wenn es schade sei, dass in der Arena keine Zuschauer dabei gewesen seien.
Volles Programm in den nächsten Monaten
Im Finale treffen nun Russland und der Iran aufeinander. „Die Russen spielen einfach den besten, schönsten und attraktivsten Sitzvolleyball momentan“, findet Singer. Der Iran sei als Rekord-Paralympicssieger in der Gruppenphase trotz dreier 3:0-Siege deutlich unter seinen Möglichkeiten geblieben. „Ich vermute eher, das Russland den Titel gewinnt.“
Für die deutschen Sitzvolleyballer geht es schon im Oktober mit dem nächsten großen Turnier weiter. Dann stehen die Europameisterschaften in der Türkei an. Im November folgen die Deutschen Meisterschaften, im Dezember der Weltcup in Ägypten, im Mai die Weltmeisterschaften in China. Letztere haben es besonders in sich, wie Merten erklärt: „Die beiden Finalisten haben ein Ticket für die Paralympics in Paris sicher. Und da wollen wir auf jeden Fall voll da sein.“ Hoffnung dürfte geben, dass das deutsche Team bereits in Tokio viele Unterstützer hatte: „Ein riesiger Dank geht an wahnsinnig viele Menschen, die uns hier und auf dem Weg hierher unterstützt haben.“
Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.