Selbst die Gestirne gehorchen nicht
Nächste Vorstellungen: en suite bis 1. Mai (tägl. außer Montag)
Der Tod ist eine Unverschämtheit. Vor allem, wenn einem vorher niemand Bescheid sagt. „Dass Könige sterblich sind, trifft mich völlig unvorbereitet“, beschwert sich der greise Regent. Wobei er die sich nähernden Einschläge geflissentlich übersehen hat. Sein ehemals stolzes Reich geht vor die Hunde, die Grenzen schrumpfen, das Militär ist versoffen, seine Minister fallen beim Baden in den Bach und treiben davon – und in letzter Zeit spielen die Gestirne und Gezeiten verrückt. Die Sonne hat 75 Prozent ihrer Kraft verloren. Sie Milchstraße gerinnt.
Der König selbst ist kaum in besserer Verfassung. Die Glieder gehorchen ihm so wenig wie die Untertanen, nicht mal Regen, Blitz und Donner kann er mehr abstellen. Dabei blickt er auf eine jahrhundertelange Liste von Verdiensten und Ausweisen seiner Virilität zurück. Rom, New York und Moskau hat er erbaut (und Gütersloh), er hat das Auto, den Fernsehturm und den Flughafen erfunden (nicht seine Glanzstunde) – und jetzt? Steht er im Pyjama auf der Bühne und muss sich vergegenwärtigen, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat: „Am Ende der Vorstellung sind Sie tot, Majestät“, lautet die Diagnose seines Leibarztes.
Eugène Ionescos „Der König stirbt“ ist nicht nur ein Klassiker des Absurden. Sondern auch ein Stück über das Theater selbst. Gespickt mit Grüßen an die Kolleg:innen (Shakespeares „Richard II“, Becketts „Endspiel“), kreisend um den kindlichsten Spieltrieb überhaupt: Bestimmer:in zu sein in einem grenzenlosen Phantasiereich, wo die Naturgesetze nichts gelten und die Behauptung Tatsachen schafft. Nur eben vom Ende her betrachtet, die Stadien des körperlichen Niedergangs und des Abfalls vom Glauben an die eigene Schöpfungskraft durchdeklinierend. In den Worten von Königin Margarete: „Die Unsterblichkeit war provisorisch.“
Pure Spiellust
Am Schlosspark Theater hat jetzt Regisseur Philip Tiedemann Ionescos Stück über das große Loslassen zur Premiere gebracht – 60 Jahre nach der Uraufführung in Paris. Es wirkt erfreulich frisch an diesem Abend. Auf Alexander Martynows pompfreier Bühne mit Bretterpodesterie für den Thron und einem verstaubten alten Radiator ohne Power (die Energiekrise klingt schon an!) ist ein Ensemble versammelt, das viel Gespür mitbringt für die Setzung des rumänisch-französischen Autors: Das Absurde ist der eigentliche Normalzustand. Georgios Tsivanoglou spielt einen herrlich stoischen Wächter, der per Flüstertüte den königlichen Status quo deklamiert. Christiane Zander gibt – mit schöner fußvölkischer Schnoddrigkeit – die Haushälterin Julchen, während Mario Ramos als irrlichternder Leibarzt der Gegenwart und dem Herrscher apokalyptische Atteste ausstellt.
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Ein Vergnügen auch das adelige Personal: Dagmar Biener trumpft auf als bittere, längst nicht mehr geliebte erste Königin Margarete, die den Regenten ungerührt ins Jenseits begleitet. Annika Martens hält mit Verve dagegen als verweinte, ganz liebesgläubige Zweitehefrau Maria, die vom Abschiednehmen nichts wissen will. Und last but not least ist es natürlich der Abend des Hausherrn Hallervorden als König Dieter (statt, wie im Original, Behringer). Im Schlafanzug und mit Filzpantoffeln tritt er in große Fußstapfen (von Werner Hinz über Sir Alec Guinness und Horst Bollmann bis zu Manfred Karge) – was ihm herzlich gleichgültig zu sein scheint. Gut so.
Der streitbare Herr Hallervorden ist in Tiedemanns Regie gerade deshalb so ein toller König, weil er nicht die vermeintlichen Weihen einer Großmimenkarriere als Schleppe hinter sich herzieht. Sein Auftritt hat nichts Eitles. Stattdessen: pure Spiellust. Hallervorden bedient perfekt die zwei Tonlagen, die Ionesco anschlägt: das Clowneske, den kindlichen Regress Feiernde im ersten Teil. Und das mehr Moll-temperierte, ungläubige Staunen bis zur Sprengung aller irdischen Fesseln nach der Pause. Zu Recht mit Standing Ovations bedacht. Im Programmheft zitiert Hallervorden einen Satz, den Maria zum König sagt. Und der dem Abend nachhallt: „Solange der Tod nicht da ist, bist du da. Wenn er dann da ist, bist du nicht mehr da. Du begegnest ihm also nicht.“