„Damals war ich nicht wählerisch“: Thaddaeus Ropac über das Jubiläum seiner Galerie
Herr Ropac, kurz bevor Sie Ihre erste Galerie in Salzburg eröffneten, pflanzten Sie 1982 Bäume für das documenta-Projekt „7000 Eichen“ von Joseph Beuys. War das nicht eine ungewöhnliche Vorbereitung auf Ihren Beruf?
Es war die Beste! Vorübergehend war ich einer der vielen freiwilligen Helfer. Ich habe im Boden gebuddelt und Basaltsteine eingelegt. Beuys bemerkte mich aber erst viel später beim Abschied in Berlin. Da fragte er mich, was ich als Nächstes machen würde. Ich erzählte ihm, ich wolle eine Galerie eröffnen, um ein paar der Künstler auszustellen, die ich in Kassel und danach in Berlin bei der Zeitgeist-Ausstellung von Christos Joachimides im Gropiusbau gesehen hatte.
Dort zeigte Beuys das Environment „Hirschdenkmäler“, oder?
Ja, im Atrium. Es bestand aus 38 Elementen, die er vor Ort geschaffen hat. Im Hintergrund ließ er einen Riesenhügel aus Erde auftürmen; ich gehörte zu denen, die mitgeschaufelt haben. Verstanden habe ich ihn nicht, aber sein Charisma faszinierte mich. 2018, als ich begann, seinen Nachlass zu vertreten, konnte ich die originalen 38 Teile der Installation von Eva Beuys erwerben. Das Werk ist heute in meiner Sammlung.
Wurde ein Traum wahr?
Nie hätte ich mir das vorstellen können! Damals übernachtete ich in einer Jugendherberge, ich hatte keinen Cent. Als ich 1984 eine Ausstellung mit Arbeiten von ihm machte, verkaufte ich eine einzige Zeichnung für 2500 Mark.
1983 reisten Sie mit einem Empfehlungsschreiben von Beuys an Warhol nach New York.
Warhol stellte mich Jean-Michel Basquiat vor, der mir dann sogar ein paar Werke für die Salzburger Galerie mitgab.
Wie war Basquiat?
Sehr selbstbewusst, immer im Mittelpunkt. Er arbeitete in einem Kellerraum der Galerie von Anina Nosei. Wir haben drei Ausstellungen zusammen gemacht, die letzte eröffneten wir am 23. Juli 1988. Drei Wochen später starb er. Sein Tod war tragisch für mich, weil ich ihn sehr schätzte. Und dann schockierte mich der Run, der damals auf die Werke einsetzte.
Achteten Sie damals schon darauf, an wen Sie verkaufen, wo Sie die Werke am besten platzieren konnten?
Nein, wir waren froh um jeden Verkauf. Damals waren wir nicht wählerisch.
Was lernten Sie von Leo Castelli, dem legendären Galeristen, den Sie ebenfalls in New York trafen?
Er stammte aus Triest, das 1907, als er geboren wurde, österreichisch-ungarisch war. Wir sprachen Deutsch. Die Familie wohnte am Ring in Wien, und Castelli erzählte mir, dass sie zum Geburtstag des Kaisers immer das Fenster schmückten. Er machte mich mit Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, James Rosenquist und Joseph Kosuth bekannt, die ich alle nach und nach zeigte. Sein Satz „Der Erfolg einer Galerie hängt von ihren Künstlern ab“, prägt meine Arbeit bis heute. Das Vertrauen der Künstler ist das wichtigste Kapital einer Galerie.
Ab 1985 wurde die Galerie immer erfolgreicher. Verfolgten Sie eine bestimmte Strategie?
Nein. Wir wuchsen organisch. Wachstum ist eine Frage von Möglichkeiten, nicht einer Notwendigkeit. Ich habe mich nie getrieben gefühlt. Wobei mir die Künstler Ende der Achtziger nahelegten, in eine Großstadt, nach Berlin oder Wien, zu gehen. Aber auf Salzburg wollte ich nicht verzichten. Die Festspiele waren zu einer zweiten Passion geworden.
Warum entschieden Sie sich 1990 für Paris?
Paris war schon immer eine Kunststadt par excellence mit unvergleichlichen Museen. Damals bin ich voll ins Risiko gegangen. Als 1991 eine globale Finanzkrise ausbrach, hatte ich schlaflose Nächte. Aus heutiger Sicht hat Paris die Galerie für die globale Kunstszene definiert.
Bald nannte die französische Kunstszene Sie anerkennend „L’Autrichien“. Dann kam Pantin.
Ich kaufte das 4700 Quadratmeter große, denkmalgeschützte Gelände einer ehemaligen Heizkesselfabrik aus acht Gebäuden in Pantin im Nordosten von Paris. Wir renovierten es aufwändig und eröffneten 2012.
Und wurden in Frankreich zum Star sogar der Politikwelt. 2013 erhielten Sie den Ordre national de la Légion d`honneur.
Das verdanke ich François Pinault. Er besuchte mich gleich am Anfang. Anschließend – das erzählte er mir später – rief er François Hollande an, den damaligen Präsidenten und sagte ihm: Sie müssen diesen Österreicher zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernennen.
London, wo Sie 2017 mit dem Ely House eine weitere exquisite Galerie eröffneten, bleibt dennoch ein wichtiger Standort?Auf jeden Fall, denn es leben sehr viele Künstlerinnen und Künstler in London. Außerdem ist es nach wie vor das Zentrum des europäischen Auktionsmarkts, und es leben auch hochvermögende Sammler dort.
Statt Hongkong wählten Sie 2021 Seoul als Niederlassung in Asien. Hatten Sie eine Vorahnung?
Wir hatten in Hongkong vor der Pandemie sogar schon begonnen, ein Gebäude umzubauen! Doch als die Zensur aus China stärker wurde, habe ich alles gestoppt. Seoul war eine intuitive Entscheidung. Seit 100 Jahren gibt es hier Akademien, eine Künstlerszene und kenntnisreiche Sammler. Für uns lief es von Anfang an auch geschäftlich so gut, dass wir gerade ein weiteres Stockwerk im Haus umgebaut haben.
In letzter Zeit haben Sie mehrere, überwiegend jüngere Künstler in die Galerie aufgenommen. Wie wählen Sie aus?
Wir entscheiden im Team und gehen dabei langsam und sehr sorgfältig vor. Mehr als einen Künstler oder eine Künstlerin pro Jahr können wir nicht aufnehmen, denn wir wollen uns umfassend um jeden kümmern. Neuzugänge sind beispielsweise Megan Rooney, Mandy El-Sayegh, Oliver Beer und die Multimediakünstlerin Zadie Xa.
Und dann gibt es noch die phänomenale 83-jährige österreichische Malerin Martha Jungwirth, die dank Ihrer Galerie zum Superstar mit entsprechendem Preisanstieg der Werke wurde…
Das geht nur mit Künstlern, die erstklassig sind. Hier wurde jemand offensichtlich lange übersehen. Wir freuen uns sehr, dass Martha 2024 eine Soloshow im Guggenheim Bilbao haben wird und zur Biennale in Venedig eine Ausstellung in der Fondazione Giorgio Cini zeigen wird.
Sie zählen zu den Big Playern des globalen Kunstmarkts. Kooperieren Sie untereinander, konkurrieren Sie?
Jeder von uns hat sein eigenes Profil. Gleichzeitig teilen wir den einen oder anderen Künstler und Estate und tauschen uns regelmäßig aus. Ich diskutiere Ausstellungen und Preisstrukturen, die Baselitz betreffen, mit Gagosian und White Cube oder im Fall von Adrian Ghenie mit Marc Glimcher von Pace.
Wenn es um Millionensummen für Werke geht, wird die Sammlerschaft dann dünner?
Nein, im Gegenteil. Die Vermögen werden größer, ein bestimmter Prozentsatz davon geht in Kunst. Derzeit werden außerdem enorme Vermögen vererbt, auch die nächste Generation sammelt Kunst. Generell ist Kunst in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Früher war die Szene elitär und exklusiv, heute ist sie inklusiver.
Der Kunstmarkt wie die gesamte Wirtschaft erlebt derzeit eine eher schwache Konjunkturphase. Spüren Sie das auch?Genau wie alle anderen. Wir sind Teil des Zyklus’ – damit gehe ich gelassen um.
Einige Ihrer Starkünstler sind über 80 Jahre alt, neben Alex Katz und Georg Baselitz auch Imi Knoebel, Arnulf Rainer, Robert Wilson oder Gilbert & George. Eine ambivalente Situation?
Ja. Wir haben so vieles gemeinsam erkämpft. Wenn Künstler wie sie in die letzte Phase ihres Schaffens eintreten, dann berührt mich das emotional schon sehr. Zum Glück sind die meisten topfit.
Kreativität als Anti-Aging?
Kreativität hält jung. Das sieht man auch an Musikern oder Architekten. Bei allen meinen Künstlern, die jetzt alt werden, erlebe ich diesen Tatendrang, große Kunst zu machen. Sie wollen sich immer wieder neu erfinden und tun das sehr erfolgreich. Der Gestaltungswille bleibt wohl bis zuletzt.
Auch bei Ihnen?
Ja, sicher. Aber anders als viele meiner Kollegen glaube ich nicht, dass meine Galerie als Brand unbedingt überleben muss. Sie ist so sehr an eine Zeit gebunden. Die nächsten 15 Jahre werde ich sicher weiter so aktiv sein wie jetzt, und wir werden weiterwachsen. Aber danach? Meine Sammlung wird bleiben, sie steht für mehrere Jahrzehnte Kunst- und Zeitgeschichte.