Fata Morgana über dem Wörtersand
Er ist ein Ausnahme-Dichter. Wohlgelitten in der Prenzlauer-Berg-Szene der achtziger Jahre, geschnitten im deutschen Literaturbetrieb seit den Neunzigern, ist Eberhard Häfner selbstbewusst seinen eigenen Weg gegangen. Wie seine Lyrik beschreiben? Vielleicht so: flirrende Fata Morganas überm Wörtersand, dargeboten mal im Gestus des Gemeinschaftlichen, mal aristokratisch auf Kothurnen, mal lässig wie Junkfood: „im getto der gebügelten sprache / war ich bei den schamanen / der oberarsch“.
Gelernt hat Häfner Werkzeugmacher, gearbeitet als Corpusgürtler, Silberschmied, Metallgestalter und Restaurator. Es liegt nahe, mit Stichworten wie Filigrangeschmeide oder Ornamentgeflecht eine Verbindung zwischen Handwerk und Schrifthand zu vermuten. „Spinnstube & Alchimistenküche sind eins“, befindet der Leipziger Dichter Thomas Böhme in einem „Kritzelfitzel für Eberhard Häfner zum Krachzigsten“. Er ist einer der Beiträger, die sich in einem von Ron Winkler herausgegebenen Privatdruck dafür bedanken, dass sich der Jubilar immer uneigennützig um die Belange weitaus jüngerer Poetinnen und Poeten gekümmert hat.
Ein Credo Häfners lautet: „Die Realität ist zerlegt in Fragwürdigkeiten.“ Häfner lässt deshalb Elementares unterschiedlichster Art miteinander reagieren, auf dass es knallt und zischt und Musik macht: Dialekt trifft auf Lutherbibel trifft auf Wissenschaftsjargon trifft auf Behörden-Sprech trifft auf erotischen Urlaut trifft auf Zote trifft auf Zauberspruch.
Auch die Ornithologie spielt eine Rolle
Schon das Eingangsgedicht in dem von Tom Schulz verantworteten Auswahlband „Kinder der Sphinx“ (Ausgewählte Gedichte 1979-2019. Verlagshaus Berlin 2021. 160 Seiten, 17,90 €), der zu Eberhard Häfners 80. Geburtstag am heutigen Sonntag erscheint, entführt den Leser sanft und unwiderstehlich in phantasmagorische Gefilde: „Heimatlied // windsonne im leeren baum / hast du alles geträumt / wobinich / hutzliger mund / küsse mich gesund“.
Mit Understatement heißt es: „deutsch, deutscher, am deutschesten / kargt mein sprachwohn im argen“. Wohl wahr, aber neben Meister Eckhardt, Luther oder Schwitters machen denn doch auch die Versepen etlicher Völker, Rimbaud und Lautréamont ihren Einfluss geltend. Auch die Ornithologie spielt eine Rolle. Unter der Überschrift „Wieso sind wir als Vögel freier“ wird das Werk Häfners immer wieder von Vogelwesen durchflattert, weil, wie es in einem Gedicht heißt: „wie’s üblich ist unter vögeln / räkeln sich zweige & ’s gesäß obenauf / worauf es ankommt & hinausläuft / im goldenen ätsch“.