Neues Album von Albertine Sarges: Das Licht der Freundschaft leuchtet weiter

Es gibt diese eine Stelle auf „Girl Missing“, da hat man plötzlich das Gefühl, ganz nah an Albertine Sarges dran zu sein. „Annie Said“ heißt der Song, der ohne jede Rhythmik auskommt, nur ein paar verhallte Gitarrenakkorde und ein Hintergrundrauschen flankieren die Stimme der Berliner Musikerin und Songwriterin.
„We might ignite like matches would in an instant. We are torn, blown apart as the sun goes down“, singt sie dazu. Die Streichhölzer, unvermittelt leuchten sie auf, um umso schneller wieder abzubrennen. Ein schönes Bild, und eines, das ihr zweites Album ganz gut erklärt. Denn dieses Gefühl, dass da gleich etwas endet, dass da eine Unsicherheit herrscht, die irgendwie ausgehalten werden möchte, prägt alle zwölf Songs.
Albertine Sarges gehört zu den relevanten Architekt:innen der Berliner Musikszene; sie schuf in der letzten Dekade prächtige Klangräume in den verschiedensten Genres: Gemeinsam mit Sebastian Eppner bildete sie das schillernde Italo-Disco-Duo Itaca, zudem musizierte sie mit der Berliner Songwriterin Kat Frankie im Rahmen von deren „Bodies“-Projekt, auch mit der australischen Avantgade-Künstlerin Holly Herndon war sie bereits auf Tour. Ihr erstes Soloalbum „The Sticky Fingers“ erschien vor gut vier Jahren und zeigte sie im Spannungsfeld aus New Yorker Postpunk-Traditionen und ihrem ganz eigenen Psychedelic-Pop.
„Girl Missing“, bei dem Eppner erneut als ihr musikalischer Sparringpartner diente, klingt fundamental anders. Auch wenn man die Songs dank eines analogen Schimmers im weitesten Sinne in den 1970er Jahren verorten kann, sind sie nicht einem bestimmten Genre verhaftet.
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Das mag am Entstehungsprozess liegen: Der Verlust einer Freundschaft war der Impuls für dieses Album; er führte jedoch nicht zu einem vollständigen Neubeginn der Kreativarbeit, sondern eher zu zwei Wintern des Sichtens und Ordnens bereits vorhandener Songs und zur Produktion einer neuen „Chain Of Pearls“, wie es die Künstlerin selbst nennt. Dunkle Wolken und verwelkte Blumen sind Teil dieser Perlenkette, aber auch der Gedanke einer Freundschaft, die bleibt und an das Licht, das immer noch leuchtet.
Zwischen Kammerpop und Neodisco
Kurzum: Das Album führt uns durch ähnliche emotionale Gebiete wie ein Trennungsalbum. Es geht um all die Ambivalenzen und damit verbundenen Gedankenschleifen; Sarges übersetzt sie musikalisch passgenau: Da ist der Titeltrack, getragen von einem treibenden Bass, aber gleichzeitig watteweich zwischen Kammerpop und Neodisco ruhend und mit seinen Streichern vielleicht der Idee eines konventionellen Pop-Hits am nächsten.
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Da schwebt über„Motherless Universe“ eine streng rhythmische, zugleich eigenartig verdrehte Tribal-Stimmung, da ist „Reflection“ erstaunlich intimer Folk der Fairport-Convention- oder Joni-Mitchell-Schule. „Paris“ spielt mit brottütenhaft knisternden Jazz-Mustern und „Cocoon“ ist von einer Repetition geprägt, die irgendwo zwischen Krautrock und Ambient liegt, wobei: All diese Begrifflichkeiten benötigen eigentlich Fußnoten, denn meist bricht irgendwann etwas komplett anderes durch, schwellen im Hintergrund Sounds an und ab, weht von der Ferne etwas herbei, das wie eine urbane Field-Recording-Aufnahme anmutet.
Der rote Faden dabei ist Sarges’ Stimme. Variantenreicher mutet sie an als auf dem Debüt, bisweilen ist sie angelegt wie ein Instrument; gut möglich, dass auch die Arbeit mit Kat Frankie ihre Spuren hinterlassen hat. Weitere Stichwortgeber sind David Attenborough und Anthony Bourdain, Letzterer führt in „Stand Near Your Fire“ ein: In diesem wilden, maximal verzerrten Artrock-Blues wird unter anderem die Wantan-Nudel und der Spinat an sich gelobt.
Notizen direkt vom Herd – das gab’s lange nicht mehr in der Popmusik. Andererseits taucht auch hier aus dem Dampf des Nudelwassers wieder eine Person auf: „You act like the wind. You make the fruit fall“, heißt es, und vielleicht ist das das größte Glück dieses Albums: Sarges’ Songs sind Wimmelbilder. Sie gibt nie die Blickrichtung vor, wohl aber Hinweise. Hören Sie genau hin, es lohnt sich.