Entspannt am Pool

Eine entspannte, bodenständige Location ist das, die der Veranstalter Maximilian Schulze Brockhausen da auf einem ehemaligen Parkplatz am Flughafen Schönefeld aufgezogen hat. In fünf Minuten Fußweg vom S-Bahnhof zu erreichen.

Aus Getränkekisten sind kleine Boxen für zwei oder vier Leute abgeteilt, wo es sich mit Abstand auf Klappstühlen lagern lässt. Zwei Bars, Fritten, Nachos, fertig.

Konzerte bis zum 15. August

Freundlichkeit überall: Ob es die Einlasscrew ist. Oder die Hygienehinweise-Begrüßung des DJs, den die Corona-Joblosigkeit im vergangenen Sommer auf die Idee brachte, die Konzertreihe „Unter freiem Himmel“ zu starten. Diesmal läuft sie bis 15. August mit Acts von Revolverheld bis Nena.
„Bleiben Sie dieser Konzertreihe treu“, bittet Till Brönner denn auch am Ende seines Konzerts am Sonntagabend die stehend applaudierenden Leute. Da drüben, sagt der Musiker und weist ins Wage, klagten Leute gegen die Konzerte.

Seltsamerweise ist im Flughafen-Ödland außer einem Funktionsbau nur Wüstenei zu sehen. Sowas sei ihm schleierhaft, schüttelt Brönner den Kopf: „Manchmal weiß ich nicht mehr, was Berlin eigentlich will.“

Dabei lebe er schon 30 Jahre hier. Ein berechtigter Stoßseufzer des Popstars unter den Jazztrompetern. Kaum geschmälert vom Erbsenzählerdetail, dass Schönefeld von Brandenburgern bevölkert wird.

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Schlag acht betritt zuvor die bis hinunter zu den Füßen weiß bekleidete Lichtgestalt Brönner die Bühne. Deren Projektionswand verzichtet auf jedes Artwork-Gedöns. Da steht nur „Till Brönner On Vacation“, also der Titel des jüngsten Albums zu lesen.

Er lächelt freudig und wirkt lässig wie selten. Brönner mit Knitterhemd über der Hose. War das vor Corona je zu sehen? Im November 2019, beim Weihnachtskonzert in der Verti Music Hall, stand er wie immer im schicken schwarzen Einreiher da und blies ein technisch virtuoses, aber viel zu routiniertes, uninspiriertes Blech. Nichts davon diesmal.

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Zum Auftakt erklingt ein puristisches Cover der Leonard-Cohen-Ballade „A Thousand Kisses Deep“, von Till Brönner und Christian von Kaphengst als poetischer Dialog zwischen Flügelhorn und Kontrabass improvisiert. Kein Partyeinstieg nach der Pandemiepause, sondern ein konzentrierter Akzent: Hier stehen zwei und kommunizieren durch Musik!

Angesichts des glasklaren, druckvollen, präzisen Sounds verfliegen sofort die Bedenken, ob jazzige Arrangements und der in Freiluftbühnen gern gen Himmel wabernde Soundbrei wirklich zusammen passen. Auf dieser Brache stimmt die Mischung bis zum letzten Ton.

Die fünfköpfige Band wird die Funkmaschine an

Kaum, dass sich die Abendsonne durch die passiv aggressiven Wolken kämpft, kommt der Rest der fünfköpfigen Band auf die Bühne. Der Keyboarder stimmt ein pluckerndes Intro an, das stark nach Siebziger-Fusion klingt, Gitarre, E-Bass und Tenorsaxofon stimmen ein.

Mit groovendem, relaxten Beat rollt die Funkmaschine an. Das Thema habe Dave Grusin für den Film „Drei Tages des Condor“ geschrieben, moderiert Till Brönner die coole Retronummer ab. Der kam 1975 raus. Treffer! Fusion, also Jazzpop, deutlicher elektronischer als der akustische Einstieg – das ist die andere Musikfarbe, die sich durchzieht.

Zuletzt las er der Politik die Leviten

Und dann wird’s Zeit, dass Till Brönner eine Begrüßung spricht. Zuletzt hat er, wohltemperiert wie immer, aber trotzdem deutlich, verstärkt durch Wortbeiträge von sich reden gemacht. Einmal, als der Jazzprofessor die Politik wegen der Missachtung der freien Kulturszene in der Pandemie die Leviten las und das auch in Talkshows und als Sachverständiger im Kulturausschuss des Bundestags vertrat. Ein anderes Mal, als er die Schauspielerinitiative #allesdichtmachen in Schutz nahm.

In Schönefeld jedoch gilt’s der Musik. Für ihn sei das ein sehr besonderer Abend, sagt Brönner und bittet alle Leute, die Hand zu heben, die seit einem Jahr kein Konzert mehr gehört haben. Alle gehen hoch. Ihm und der Band ginge es genauso, lächelt Brönner, der dieses Jahr 50 geworden ist und den Auftakt seiner Sommertour zu Hause begeht.

„Deswegen sind auch wir viel aufgeregter als sonst.“ Das hält die Truppe, aus der solistisch Olaf Polziehn am Klavier, Bruno Müller an der Gitarre und Mark Wyand am Tenorsax herausstechen, nicht davon ab, einen guten Drive zu entwickeln.

Federleicht stiebt ein Samba davon

Den Spannungsbogen hält das ganze, durchgehend aus Midtempo-Nummern gebaute Konzert, in dem nur ein federleicht davon stiebender Samba die entspannte Grundhaltung durchbricht. Gelungen ist der Mix aus Musikfarben, in der Till Brönner nicht nur „On Vacation“ vorstellt, sondern auch einen Swingklassiker wie „The Good Life“ aus seinem 2016er Album unterbringt und den Nancy-Wilson-Standard „Save Your Love For Me“.

Für den Titel des Ferien-Albums (Sony Music), das 2020 herauskam, habe er sich trotz der Pandemie entschieden, sagt der oft unter Gefälligkeitsverdacht stehende Meister trotzig.

Als in Kalifornien noch die Pools plätscherten

Und tatsächlich klingt diese perfekt produzierte, eskapistische Melange aus Smooth Jazz, Easy Listening und Swing wie eine erinnerungsselige Klangtapete aus der Zeit, als sie in Kalifornien noch Pools füllen konnten, ohne ein schlechtes Gewissen wegen der Wasserknappheit zu haben. Das Unbehagen darüber, die Lizenz zur Unschuld eingebüßt zu haben, ist Brönners markanter Ballade „Lavender Fields“, die auch in Schönefeld erklingt, trotzdem eingewoben.

Sein kongenialer Album-Sparringspartner, der mittlerweile 80 Jahre alte Smooth-Jazz-Held Bob James fehlt in Schönefeld an Piano und Keyboard, ist klar. Doch die hingetupfte Akkuratesse und der samtweiche Ansatz, mit der der Trompeter sich einmal mehr als Chet-Baker-Epigone erweist, machen das wett.

Als der Mond aufgeht, zieht eine frische Brise übers Feld. Till Brönner steht vorne auf dem Steg und setzt dem Abend mit seiner Improvisation über „Just The Way You Are“ eine gleißende Spitze auf.