Wenn Aribert Reimann Musik träumt
Nein, es ist kein Traum: Diesmal findet sie tatsächlich statt, die Uraufführung von Aribert Reimanns Schumann-Adaption „Frauenliebe und Leben.“
Die Fassung des „vielleicht schönsten Liederzyklus’ der Romantik“ für Sopran und Streichquartett war bereits viermal im Kammermusiksaal angekündigt; jedes Mal musste die Aufführung durch Claudia Barainsky und das Delian Quartett dem Auf und Ab der jeweiligen Corona-Wellen weichen.
Er hört den Liederzyklus mit Streichern statt Klavier
Ein Traum brachte jedoch den Berliner Komponisten von Weltgeltung dazu, sich ausgerechnet dieses im Verruf eines antiquierten Frauenbildes stehende Werk für sein sensibles Arrangement auszusuchen. Schumanns Musik, im Traum mit Streichern statt mit Klavier gehört, ließ ihn nicht mehr los.
Ein wacher Blick in die Partitur bestätigte, dass die Klavierbegleitung fast durchgehend vierstimmig gehalten ist, geradezu eine Aufforderung, sie für Streichquartett zu setzen.
Nicht nur diese nächtliche Inspiration machte die Arbeit eher zum Herzensauftrag als zur technischen Herausforderung. Dass die Sopranistin Claudia Barainsky, als berufene Reimann-Interpretin dem Komponisten besonders verbunden, gerade ihren Mann verloren hatte und plötzlich eine abstraktere, letztlich hilfreiche Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal führen musste, war für alle Beteiligten sehr bewegend.
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Schumann vertont nach Gedichten von Adalbert von Chamisso die Stationen eines „Frauenlebens“ von aufkeimender Liebe, Verlobung, Hochzeit, Mutterschaft bis hin zum Tod des geliebten Mannes, die ein wenig penetrant die demütige Verklärung des „Herrlichsten von allen“ beschwören und trotzdem glaubwürdig die intimsten, kaum aussprechbaren Gefühlsregungen nachzeichnen.
Umso bedauerlicher, dass Reimann nicht anwesend sein kann, wenn sein Herzenskind nun aus der Taufe gehoben wird. Er erholt sich gerade von einer längeren Krankheit und kann der Aufführung nur per Videozuschaltung beiwohnen. “Damit er die Resonanz des Publikums direkt erfahren kann und auch das Publikum spürt, dass er irgendwie doch dabei ist“, sagt Andreas Moscho, zweiter Geiger des Delian Quartetts, der in ständigem Kontakt zu Reimann steht.
(Uraufführung am 25.6., 19 Uhr, im Kammermusiksaal der Philharmonie. Das Quartett möchte seinem Publikum das Konzert zum Geschenk machen: kostenlose Karten unter mail@delian-quartett.com (mit Angabe der Kontaktdaten).
Weil dieser sich für ein längeres Gespräch über sein Werk noch zu schwach fühlte, ist Moscho der Überbringer mündlicher und schriftlicher Statements, die einige Charakteristika vermitteln. „Vor allem ging es darum, verborgene Strukturen aus Schumanns Klavierpart hervorzuholen und die Emotionen mit all ihren Facetten deutlich zu machen, quasi hinter den Worten.“
Dazu hat Reimann die stärkere Transparenz des Streichersatzes genutzt, noch zusätzlich ausgedünnt und zum Beispiel im Klavier manchmal recht massive Bassoktavierungen beseitigt. Der ganze Klang scheint ein Stückchen höher zu rutschen – so befindet sich die Singstimme oft nicht einfach über der Begleitung, sondern ist, indem die Geigen höhere Lagen nutzen, vom Streicherklang eingehüllt.
Schumanns Tonalität bleibt bestehen
Indem tragende, kommentierende Motive des Klaviers auf die vier Streichinstrumente aufgeteilt werden, entstehen ganz neue Farb- und Dialogräume. „Schumanns Tonalität, sein Tonvorrat bleibt im Wesentlichen unangetastet, alles ist unverkennbar Schumann, und doch ist es auch ganz Aribert Reimann.“
Die Eingriffe sind subtil, aber wirkungsvoll: „Er, der Herrlichste von allen“, kommt jetzt nicht mehr auf wuchtigen Akkordrepetionen daher, sondern durch Terzwechsel entsteht eine flirrende, pochende, zugleich fragile Bewegung und Erregung.
Du Ring an meinem Finger
Indem zunächst nur Bratsche und Cello einsetzen und das Stück wieder in die Tiefe zurücksinkt, ersteht „Du Ring an meinem Finger“ tatsächlich als geschlossener Kreis. „Im Schlussgesang lässt sich das Drama intensivieren und aufrechterhalten, weil die Streicher die wahnsinnig langen Akkorde aushalten und sogar anschwellen lassen können, die im Klavier einfach verklingen.“
Anders als im Mendelssohn-Zyklus „…oder soll es Tod bedeuten?“ hat Reimann diesmal keine eigenen atonalen Sequenzen dazu komponiert: „Es ging mir darum, mich nicht zu wiederholen und tonale Elemente mit meiner Musik zu vermischen, und mit Zwischenspielen wäre das Stück zu lang geworden. Es gab so vieles, was ich innerhalb der Schumannschen Harmonik aufgreifen und verändern konnte, außerdem wollte ich die Geschlossenheit der Form und die Tonartenabfolge bewahren, die in diesem Zyklus eine große Rolle spielen.“