Vorsichtig zuversichtlich: Der Kunsthandel kämpft mit schrumpfenden Erlösen
„Stabil“. Ein Wort genügt Auktionator Robert Ketterer, um das Jahr für sein Münchner Haus zu beschreiben, das zugleich 70-jähriges Bestehen feierte. Mit einem Gesamtumsatz von 90,2 Millionen Euro inklusive aller Saal- und Online-Auktionen, Privat- und Nachverkäufe blieb der Versteigerer erneut Primus unter seinen deutschen Kollegen. Den deutschen Höchstpreis des Jahres brachte Alexej Jawlenskys Gemälde „Spanische Tänzerin“ von 1909, ein Bildnis seiner jungen Geliebten Helene Nesnakomoff, das 8,34 Millionen Euro erzielte. Bemerkenswerte vier Erlöse jenseits der Millionengrenze wurden auch in der Auktion Anfang Dezember erreicht.
Während Ketterer Stabilität als das „Wertvollste in der heutigen Zeit“ bilanziert, spiegeln die generellen Ergebnisse auf dem Sekundärmarkt der Auktionen wie dem Primärmarkt der Galerien die politische wie finanzielle Labilität des noch heftiger als 2023 von Krisen und Kriegen geschüttelten Jahres wider. Mit vier Milliarden Dollar und damit einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr beziffert Branchenanalyst ArtTactic die Gesamtverkäufe der drei Auktionsriesen Sotheby’s, Christie’s und Phillips in den Bereichen alte Meister, Impressionisten, Moderne, Nachkriegskunst und zeitgenössische Kunst. Vor allem Sothebys erlebt derzeit eine stürmische Phase.
Sotheby’s streicht mehr als 100 Stellen
Seit September baut das Haus Arbeitsplätze ab, die die offizielle Zahl von 100 inzwischen überschreiten, vor kurzem machte es eine Gebührenreform für Verkäufer und Käufer rückgängig. Im November investierte der Staatsfond ADQ des Emirats Abu Dhabi eine Milliarde Dollar. Unter anderem müssen damit Schulden des Hauses getilgt werden, die noch höher liegen. Weniger turbulent, doch ebenfalls ernüchternd schloss Phillips seine Abendauktion im November mit einem Gesamtumsatz von 54,1 Millionen Dollar ab – 15,8 Millionen Dollar weniger als 2023.
Auch Christie‘s, die Nummer Eins des Auktionsmarkts für Bildende Kunst und Luxusgüter, verzeichnet ein „sechsprozentiges Minus“, so Dirk Boll, Präsident für Europa, den Nahen Osten, Russland und Indien. Doch blicke sein Haus „vorsichtig zuversichtlich“ ins neue Jahr. Gründe sind für ihn ein Anstieg der Einlieferungen, eine um zwei Prozent höhere Abverkaufs-Quote und um 41 Prozent überproportional gewachsene Privatverkäufe. Christie’s versteigerte in New York aber auch das weltweit teuerste Los des Jahres: 121,2 Millionen Dollar inklusive Aufgeld erzielte René Magrittes 1954 entstandenes Gemälde „L‘Empire des lumières“ aus der Sammlung der New Yorker Innenarchitektin Mica Ertegun . Und im Gegensatz zum Erzrivalen Sotheby’s expandiert das Auktionshaus nun in Saudi-Arabien.
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Max Beckmann für 5,4 Millionen
Mehr oder weniger geschrumpfte Erlöse treffen fast alle großen wie kleineren Player. So klingen auch die meisten deutschen Auktionatoren verhalten. Daniel von Schacky, Geschäftsführer von Grisebach, erwartet 2024 einen „Umsatz zwischen 40 und 42 Millionen Euro gegenüber 47 Millionen im Vorjahr“. Das Berliner Auktionshaus gab sein Spitzenlos, Max Beckmanns Gemälde „Quappi mit grünem Sonnenschirm“ von 1938, für 5,4 Millionen Euro an einen Online-Bieter ab. Co-CEO Isabel Apiarius-Hanstein von Lempertz in Köln spricht von einem Gesamtergebnis von 56,75 Millionen Euro, das „gering von dem des Vorjahres abweicht“, also niedriger ausfällt.
Martin Guesnet, International Senior Advisor des französischen Mehrspartenhauses Artcurial, berichtet von einem aktuellen Umsatzminus von 14 Prozent, doch gleichzeitig von 186,6 Millionen Euro Gesamtumsatz für die Auktionen. Im Portfolio entfallen 32 Prozent der Erlöse auf Werke des 20. und 21. Jahrhunderts, 22 Prozent auf den Sektor Beaux Arts (Antiquitäten, Design), zwölf Prozent auf Luxusobjekte und 34 Prozent auf Oldtimer. Erneut erzielte ein Ferrari aus dem Jahr 1958 den Rekordpreis von 5,4 Millionen Euro.
Endlich wieder sieben Prozent
Guesnets „optimistische Perspektive“ für 2025 nährt sich daraus, dass er Paris wie die meisten Insider des Markts als „neues dynamisches Kunstmarktzentrum Europas“ sieht. Tatsächlich steht Frankreich in der Tabelle von Artprice mit einem Gesamtumsatz von 62,7 Mio Dollar an vierter Stelle des zeitgenössischen Markts – weit hinter den USA (779 Mio. Dollar), China (511,3 Mio. Dollar) und Großbritannien (279,4 Mio. Dollar), aber deutlich vor Deutschland mit einem fast um die Hälfte niedrigeren Umsatz von 33,7 Millionen Dollar. Deshalb darf an dieser Stelle die beste Nachricht für den hiesigen Kunstmarkt nicht fehlen: Von Januar an beträgt der Mehrwertsteuersatz für Kunst statt 19 endlich wieder sieben Prozent.
Diese Entlastung beflügelt hoffentlich den Primärmarkt der Galerien. Denn auch hier gab es Insolvenzen, Schließungen und Entlassungen. So meldete der renommierte Münchner Händler Thomas Insolvenz an, nach 80 Jahren schlossen die Galerie Marlborough und die Antwerpener Avantgarde-Galerie Office Baroque. Der New Yorker Kunsthändler David Lewis gab seine Selbständigkeit auf und wechselte als Direktor zu Hauser & Wirth. Selbst die mächtigen Galerien White Cube, Pace und David Zwirner entließen Mitarbeiter. Anhaltend steigende Kosten für Transport, Lagerung und Reisen sind die Hauptursache für solche Maßnahmen. Folgerichtig wünscht sich der italienische Galerist Massimo de Carlo, ebenfalls ein Schwergewicht des globalen Markts mit Standorten in Mailand, London, Paris, Hongkong, Peking und Seoul, vor allem eines: den Stop der Preisspirale.
Kunst auf dem Krypto-Markt
Die nach wie vor lukrativste Messe für global agierende Galeristen bleibt die Art Basel in Basel, Paris und Hongkong, erklärt die Berliner Galeristin Esther Schipper, für die „ein herausforderndes Jahr sehr gut endete“. Thaddaeus Ropac, einer der führenden Galeristen am zeitgenössischen Markt, resümiert ebenfalls ein insgesamt erfreuliches Jahr und glaubt, dass „die wirtschaftliche Talsohle durchwandert“ sei. Als starkes Signal hat er gerade – als zweiter Megagalerist nach Hauser & Wirth – eine eigene Abteilung für Nachhaltigkeit gegründet.