Kopflose Schwungkraft
Gerade erst ging Caroline Fourest mit der jungen „Generation beleidigt“ ins Gericht. Die französische Publizistin polemisierte gegen eine politisch korrekte Jugend, die alles persönlich und sich selbst zu wichtig nimmt, so dass ihr moralischer Aktivismus mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Wäre es da nicht an der Zeit, einen Gegengesang anzustimmen, um die Jugend und ihre Anliegen zu verteidigen? Eher nicht, meint der an der Universität der Künste lehrende Berliner Philosoph Alexander García Düttmann; derlei Anbiederung sei scheinheiligen Politikern vorbehalten.
„Nur Politiker, Repräsentanten der Ordnung, Träger der Form, reden davon, dass man den Forderungen der Jugend Gehör schenken muss“, schreibt er. Überhaupt: Jugend fordere eigentlich gar nichts, sondern überfordere. Vor allem paktiere sie nicht mit den Erwachsenen. Und doch ist soeben aus Düttmanns Feder ein „Lob der Jugend“ erschienen. Wer oder was wird gelobt? Und was ist das überhaupt, ein Lob?
Mit Blick auf die Geschichte der Gattung fällt der Blick auf die aus der Antike überkommene „Epideixis“. Nicht ohne Grund wird das zu Deutsch mit „Lob- und Tadelrede“ wiedergegeben, ist doch die Kritik das Komplementärstück des Lobs in der zumal rhetorischen Tradition: Kein Zuckerbrot ohne Peitsche. Tatsächlich steckt auch Düttmanns Lob voller Tadel, mag auch Marcus Quent in seinem Vorwort betonen, dass die „Idee der Jugend“ als eine dem Urteil entzogene Instanz konzipiert sei.
Die Jugend ist tot
Was aber ist los mit der Jugend, dass man ihre Idee – und um diese geht es – loben kann, aber ihre Erscheinungsform tadeln muss? Nun: Die Jugend ist schlichtweg tot, seit sie begonnen hat, sich mit den Erwachsenen zu verständigen, womöglich sogar „auf Augenhöhe“. Das ergibt in Düttmanns Perspektive „eine kalte und brave Jugend, ausdruckslos und freundlich, mit einem Gesicht, das sich dem Bildschirm angleicht, auf den es unentwegt starrt, eine Jugend, die sich zur Begrüßung umarmt, ohne sich zu berühren, eine Jugend, die das Leben regeln will“. Diese Jugend führt sich vernünftig, strategisch, mithin erwachsen auf. Sie will durch Argumente überzeugen und „Recht behalten“ statt auf eine „revolutionäre Chance“ zu setzen. Sie lebt puritanisch und rigoristisch statt sich grenzenloser Experimentierfreude hinzugeben.
So oder ähnlich schon mal gehört? Das Buch verhehlt seine – mehrsträngigen – Wurzeln keineswegs. Auf Platons „Symposion“ und seinen philosophischen Eros wird mit dem Titel des ersten Kapitels in einem Gestus der Bescheidenheit als „Kleines Symposion“ unverblümt angespielt. Die kulturhistorischen Hintergründe reichen von Alain Badious ebenfalls platonisch aufgeladener Idee der Jugend „als Initiation in die kommunistische Idee“ bis zu Pasolinis antikapitalistischer Faschismuskritik. Weitere wichtige Stichwortgeber sind Hegel und Heidegger, Benjamin und Adorno, Foucault und Derrida, Lacan und Nancy.
Fühlt man sich in dieser intellektuellen Umgebung zu Hause, darf man sich auf einige berückende Diagnosen gefasst machen, die wesentlich mit der Sprache der Jugend zu tun haben. Offenbar ist die Jugend kollektiv dem Ideal „gewaltloser Kommunikation“ in die Falle gegangen; dieses hat sie „redselig“ gemacht und zu kaum mehr als Belanglosigkeiten geführt: „Im Geschwätz wird die Sprache neutralisiert, entgeistigt, entkräftet“. Derlei Zersetzung beobachtet Düttmann nicht zuletzt in den sozialen Medien: „Die Sprache ist hölzern, das Denken verläuft in den vorgesehenen Bahnen.“ Wo bleibt da die Lust an der Provokation, wo der Mut zu mangelnder Produktivität?
Jugend – das ist sprachkörperliche, kopflose Schwungkraft. An modischen Aushandlungsprozessen nimmt sie nicht teil. Als Verräter gilt mit Lacan, wer sein Begehren hinter sich lässt, um einem Diskurs beizutreten. Jüngste Beispiele für das Elend der Diskursivierung: die grassierenden Debatten um Identität und Diversität, die den trügerischen, nicht zuletzt von Judith Butler genährten Eindruck erweckten, es sei der Jugend um Anerkennung zu tun.
Design von Individualismus
Im Gegenteil entzieht sich die Jugend der Identifikation, von der sie gar keinen Begriff habe. Für Düttmann eine Kette von folgenschweren Fehlannahmen: „An die Stelle von Fest, Kunst und Einbildungskraft ist das auf alle Lebensbereiche sich erstreckende Design des Individualismus getreten, das darüber hinwegtäuscht, dass es kaum mehr Individuen gibt.“
Einen Beleg für dieses Design sieht Düttmann in dem Bedürfnis danach, anderen die eigene Besonderheit aufzunötigen. Darin wurzle das verhängnisvolle Begehren nach einer „bis in die Sprache hineinreichenden Normierung des Lebens, deren andere Seite die vollkommene Anarchie der Warenproduktion ist“. So wäre also auch dieses weltverbesserische Gebaren nichts als ein Indiz dafür, dass „an die Stelle der Jugend die eine Macht des neoliberalen Kapitalismus getreten“ sei.
Zwischen der Idee der unerziehbaren Jugend und ihren derzeitigen Ambitionen scheint es also keine Übereinstimmung zu geben. Oder vielleicht doch? Gibt es Hoffnung für eine konkrete Wendung des Lobs? Tatsächlich sieht Düttmann Ansätze für jugendliche Umtriebe etwa bei den durch die Tötung George Floyds ausgelösten Anti-Rassismus-Demonstrationen, die trotz pandemiebedingter Restriktionen stattgefunden haben.
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Ein Fünkchen Hoffnung kann auch die schwedische Greta entfachen, wenn sie so wütend auftritt wie vor den Vereinten Nationen, insofern sich dabei die Aufkündigung des verräterischen Paktes mit den Erwachsenen den Weg zu bahnen schien; doch hat sie sonst zu viel vernünftige Orientierung im Angebot für eine Idee der Jugend, die „die Sorge um Selbsterhaltung überschreitet“.
Viel näher als der Versuch, mächtige Erwachsene zur Räson zu bringen, läge ohnehin ein Deal zwischen Jugend und Alter, zwischen Anfang und Ende. Trat der nicht jüngst covidbedingt in Kraft, könnte man sich fragen? Doch darum geht es hier nicht.
Die vielgepriesenen Akte der Solidarität, zu denen die Stimme der medizinischen Vernunft rät, laden ganz gewiss nicht dazu ein, gemeinsam mit oder doch neben den Greisen mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Als Alternative zur übermenschlich erwachsenen Jugend dieser Tage immerhin eine tröstliche Vorstellung.