Romanverfilmung „Ein ganzes Leben“ nach Robert Seethaler: Eine Heimat, eine Liebe
Ein schmaler Band, ein einfacher Mann, ein genügsames Leben, in lakonischer Introspektion beschrieben – erstaunlich, aber auch symptomatisch, dass Robert Seethalers Roman „Ein ganzes Leben“ 2014 so ein Erfolg wurde. Als in 40 Sprachen übersetzter Millionenseller des österreichischen Schriftstellers, der wortkarg von acht Lebensjahrzehnten des Waisenjungen Andreas Egger erzählt.
Ein Leben im Einklang mit der Bergwelt, der Plackerei auf dem Bauernhof und beim Seilbahnbau, letztlich sogar mit den Mahlwerken des Schicksals versöhnt. Klaglos leben, klaglos arbeiten. Eine Heimat, eine Liebe. Die Dinge nehmen, wie sie sind. Ein Roman, der diese Antwort auf die Fragen gibt, was der Mensch im Leben braucht, ist der Gegenentwurf zur Lebenswelt orientierungsloser Großstädter, die im Materiellen schwelgen, aber der Natur entfremdet existieren und nur Lebensabschnittspartner kennen.
Regisseur Hans Steinbichler hat sich mit dem Familiendrama „Hierankl“ bereits 2003 erfolgreich am modernen Heimatfilm versucht, bevor er das Risiko einging, Seethalers Roman zu verfilmen, den eben nur die literarische Reduktion vor dem Edelkitsch bewahrt. Als Vehikel der Kommunikation des lange sprachlosen Egger dienen im Film nun Briefe, die er seiner verstorbenen Liebsten Marie, mit der er ein kurzes Glück in der gemeinsamen Berghütte erlebt, durch einen Spalt in den Sarg schiebt. Wie Egger sie bedächtig mit schrundigen Arbeiterhänden und Bleistift verfasst, ist Bildgestalter Armin Franzen ein ums andere Mal eine Großaufnahme wert.
Ansonsten schwelgt die Kamera im Cinemascope schneebedeckter Gipfel, grüner Matten und rauschender Bäche. „Schau, die Berg‘, wie aus Porzellan“, sagt Marie (Julia Franz Richter) zu Egger (Stefan Gorski). Und das ist – trotz der überraschenden Sekundeneloquenz des Schweigerpaares – gar kein schmonzettiger Moment. Dass Regie und Kamera das Leben des Andreas Egger als Bergfilm inszenieren, ist das überzeugendste an dieser in sinfonischer Streichersauce und alpinem Hörnerklang ersaufenden Saga.
Im Angesicht der überwältigenden Landschaft ist Egger, der als alter Mann von August Zirner verkörpert wird, eine universelle Figur: der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch. Ebenso zur Freiheit auf den Gipfeln berufen, wie zur Knechtschaft im Tal verdammt. Was in der Kinderszenen beim Prügelbauern Kranzstocker (Andreas Lust) so sinnfällig wird wie später, wenn der durch die Misshandlungen hinkende Egger beim Seilbahnbau schuftet. Als Mensch in einer Landschaft, die keine heroische Eroberungskulisse darstellt wie im deutschen Bergfilm der 30er Jahre, sondern als Naturraum, der Existenzen ermöglicht und nimmt.
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Dass sich in Eggers Lebenszeit, die kurz vor der Jahrhundertwende beginnt, die Verwandlung des Alpenraums in eine Tourismusdestination vollzieht, in der der Spätheimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft wie ein archaisches Fossil wirkt, bildet nur das Hintergrundrauschen. Viel lieber inszeniert Steinbichler in ruhigem Erzählfluss die Würde der Bergbauernarbeit – Mähen, Heuen, Holzen. So kunsthandwerklich wie im Kulturfilm. Solche Vilsmaier-Folklore zu vermeiden, hat Terrence Malick in „Ein verborgenes Leben“ besser hinbekommen.
Männer, die in Berghütten leben. Das könnte ein Genre sein. Am Jahresbeginn variierte die Romanverfilmung „Acht Berge“ das Motiv. Davor Adrian Goigingers Aussteigerdrama „Märzengrund“. Immer geht es um den Gegensatz zwischen individueller Freiheit, die die Berge versinnbildlichen, und den Zwängen der Zivilisation.
„Ein ganzes Leben“ verlegt den Konflikt nach innen. Andreas Egger, dieser Mann, der Distanz viel besser beherrscht als Nähe, ist am Ende seines Lebens ganz und gar frei. Nicht der Berge, sondern seiner Bedürfnislosigkeit wegen und weil er besitzt, was dem modernen Menschen fehlt: Demut. Das immerhin zeigt die Verfilmung, nur einen Wimpernschlag vom Edelkitsch entfernt.