Große Helden in Not

Zwei Brüder mit Superkräften retten gemeinsam die Welt vor jeder Bedrohung. Bis eines Tages der Jüngere genug davon hat, im Auftrag der US-Regierung Superschurken zu verprügeln sowie sich von seinem älteren Bruder herumkommandieren zu lassen – und stattdessen selbst die Staatsführung übernehmen will.

Was dann folgt, erzählen der Comicautor Mark Millar und der Zeichner Frank Quitely in ihrer Miniserie „Jupiter’s Legacy“ (Panini Comics, zwei Sammelbände à 140 S., je 17 €) als blutiges Familiendrama von shakespeareschen Ausmaßen. Ab Freitag , dem 7. Mai 2021, läuft Verfilmung der ab ursprünglich 2013 veröffentlichten Comicreihe auf Netflix.

2017 hatte der Streaming-Anbieter die Rechte an Millars Werken, die unter dem Label „Millarworld“ erscheinen, komplett als Paket gekauft. Millar ist ein Meister der Dekonstruktion von Superheldenmythen, wie er zuvor mit mehreren inzwischen oft ebenfalls verfilmten Comics wie „Kick-Ass“ und „Wanted“ bewiesen hat.

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In „Jupiter’s Legacy“ erzählt er in Anlehnung an Klassiker wie „Superman“ und die griechisch-römische Mythologie von einem Helden namens Utopian, dessen größte Stärke – sein zwanghafter Altruismus und sein Glaube an das Gute – sich eines Tages auch als seine größte Schwäche erweist.

Das lässt sich auch als Analogie auf die USA lesen, deren Ideale der Brite Millar einerseits verehrt, deren Wirtschafts- und Sozialpolitik er andererseits als fatal ansieht, wie er in Interviews erklärt hat und wie er es auch einige der zentralen Figuren in „Jupiter’s Legacy“ wiederholt sagen lässt.

Klarheit auch bei den wildesten Actionszenen

Nach einem an „Hamlet“ erinnernden Verwandtenmord finden sich die zwei nicht gerade heldenhaft geratenen Kinder des Utopian, die sich statt dem Kampf für das Gute bis dahin mehr dem eitlen Celebrity-Leben hingegeben hatten, als Gegenspieler in einem weltumspannenden Rachefeldzug wieder.

Bruderkonflikt: Walter Sampson alias Brainwave und Sheldon Sampson alias Utopian in einer Szene aus „Jupiter’s Legacy“.Foto: Panini

In dessen Verlauf gibt es neben den persönlichen Dramen der Hauptfiguren originelle Variationen klassischer Genre-Zutaten zu erleben, indem zum Beispiel die eingeführte Rollenverteilung von Gut und Böse zunehmend hinterfragt wird.

Völlig neue Wege beschreitet Millar dabei allerdings nicht: Viele Ideen hat man so ähnlich entweder in klassischen Superhelden-Comics oder anderen Dekonstruktionen wie „Watchmen“, Frank Millers Batman-Comics oder jüngeren Reihen wie „Stormwatch“ und dessen Nachfolger „The Authority“ schon auf ähnliche Weise vermittelt bekommen.

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Eine anregende Lektüre ist „Jupiter’s Legacy“ dennoch, nicht zuletzt wegen der sehr gelungenen visuellen Umsetzung.

Das Titelbild der deutschen Ausgabe des ersten Sammelbandes der Reihe.Foto: Panini Comics

Der schottische Zeichner Frank Quitely übersetzt die packende Geschichte in makellose Bilder, die angemessen heroisch wirken, aber zugleich die Gefühle der Handelnden gut visualisieren. Die vermittelt Millar in seinen Dialogen so lebensnah, dass man als Leser trotz der fantastischen Handlung den Eindruck hat, hier echten Menschen dabei zuzuschauen, mit den Herausforderungen des Superhelden-Daseins zu ringen.

Quitelys Strich ist filigran und in vielen Szenen fast zwanghaft detailverliebt. Trotzdem lässt er seinen Figuren viel Raum und überlädt Panels nicht. Die besondere Stärke des Zeichners sind die Gesichter, die mit exakt gesetzten Linien auch feinste Gefühlregungen klar vermitteln.

Zudem verliert man als Leser dank seiner klaren, aufgeräumten Seitengestaltung nicht mal bei den wildesten Actionszenen den Überblick. Dazu trägt auch die fein abgestufte Kolorierung von Peter Doherty bei.