Wie ein Lied Billie Holiday fast zur Staatsfeindin macht
Das Lied ist Dynamit. Die Frau, die es singt, nicht minder. „Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root / Black body swinging in the Southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees.“
Als sich die damals schon populäre Jazzsängerin Billie Holiday 1939 entschließt, den zuerst als Gedicht gegen Lynchmorde in den Südstaaten erschienenen Song „Strange Fruit“ des Juden und Kommunisten Abel Meeropol in ihr Repertoire aufzunehmen, gleicht das einer Kampfansage. An Rassisten, Menschenrechtsverletzer, Wegschauer.
1939 singt sie es zum ersten Mal
Die bittere, von Holiday erstmals im New Yorker Café Society vor liberalem, meist weißem Publikum intonierte Ballade ist kein Lied, das Brücken baut. „Strange Fruit“ gleicht einem Schmerzensschrei, der es jedem US-Bürger, der es hörte, unmöglich machte, länger die Augen vor der täglich tolerierten Brutalität zu verschließen.
Umso größer war die Wut, die die gerade einmal 24 Jahre alte Sängerin damit beim konservativen weißen Establishment entfachte. Im Biopic „The United States vs. Billie Holiday“ klingt das aus dem Mund eines Regierungsbeamten so: „J. Edgar Hoover sagt, das Lied ist unamerikanisch.“
Das Gegenteil ist der Fall: der Song ist so uramerikanisch wie die 1959 mit gerade mal 44 Jahren in New York gestorbene Sängerin.
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Eine schwarze Bühne, die Diva in funkelnder Robe , im Haar eine weiße Gardenie, beleuchtet von einem einzigen Spot. Mit diesem Bild beginnt und endet das Filmdrama von Lee Daniels, mit dem der Regisseur die Sängerin als Vorreiterin der Bürgerrechtsbewegung interpretiert.
Der Grausamkeit der politischen und persönlichen Verhältnisse stellt das stimmungsvolle, aber mit unfertigen Figuren und einer überflüssigen Rahmenhandlung befrachtete Drama, den Glamour des Gesangsstars gegenüber.
Ihn verkörpert die klasse Soulsängerin Andra Day mit ihrer am Original geschulten, rauen Bluesstimme überzeugender als das ihrer Vorgängerin Diana Ross im ersten Billie-Holiday-Biopic „Lady Sings the Blues“ 1972 gelang. Beide wurden für ihr intensives Spiel für den Oscar nominiert, ohne ihn jedoch zu ergattern.
Einen „Golden Globe“ jedoch hat die Rolle der Schauspieldebütantin Andra Day beschert. Das Cinemascope-Format und die mit dem Modehaus Prada entwickelten Kostüme und Roben verleihen dem Film Pracht.
Und die weiche Patina, die über den theaterhaft ausgeleuchteten Clubs und Künstlergarderoben liegt, verrät, dass „The United States vs. Billie Holiday“ auf Film gedreht wurde. Ein Jammer, dass man diesen Schmelz der Bilder (Kamera: Andrew Dunn) zur Zeit nicht auf der Kinoleinwand sehen kann.
Der Look schwächt die Brisanz
Trotzdem schwächt der edel-nostalgische Look, den man aus konventionellen Künstlerdramen wie zuletzt „Judy“ (2019) über Billie Holidays Generationsgenossin Judy Garland kennt, die Brisanz der Erzählung. Da will der Afroamerikaner Lee Daniels, der als Produzent für Filme wie „Monster’s Ball“ und als Regisseur für „The Butler“ und „Precious – Das Leben ist kostbar“ verantwortlich zeichnet, ja eigentlich mehr. Nämlich Billie Holiday ein Heldinnenlied singen, das sie in eine Reihe mit Identifikationsfiguren des schwarzen Emanzipationskampfes wie etwa Rosa Parks stellt.
Um der allzu plakativen Story Authenzität zu verleihen, arbeitet Lee Daniels mit schwarzweißen Originalaufnahmen. Beispielsweise von der Menschenmenge, die Billie Holidays Sarg begleitet. Farbig überblendet fließen sie in die fiktive Geschichte ein, die sich trotz diverser verbürgter Figuren, Konzerte und rassistischer Demütigungen aber eben auch Freiheiten herausnimmt.
Wie etwa Holidays Romanze mit dem Bundespolizisten Jimmy Fletcher, den „Moonlight“-Star Trevante Rhodes mit dem im Film für alle Männer obligatorischen Sixpack spielt. Fletcher heftet sich im Auftrag von Harry Anslinger (Garrett Hedlund), dem fanatischen Boss der US-Drogenfahndung, an die Fährte der alkohol- und drogensüchtigen Sängerin, die wegen des aufrührerischen Liedes um jeden Preis mundtot gemacht werden soll. Aus dem Verrat wird Liebe, und Fletcher eine weitere Kerbe in Holidays Bettkante.
Doch warum der zeitlebens auf gewalttätige Kerle abonnierten Diva posthum einen guten Mann andichten? Um ihr hammerhartes, von rassistischer und patriarchaler Gewalt geprägtes Leben fürs Filmpublikum leichter erträglich zu machen? Um das Bild der ruppigen Domina, die Billie Holiday für ihre Musiker und Entourage war, anzuzärteln?
Der Antidrogenkrieg war auch rassistisch
Schlüssig ist jedoch Jimmy Fletchers persönliche Katharsis: Angesichts der schmutzigen Tricks und des Hasses, mit der die weißen Drogenfahnder Holiday bis aufs Totenbett verfolgen, erkennt der „erste schwarze Bundespolizist“ seine Instrumentalisierung und die rassistische Stoßrichtung des Antidrogenkriegs.
Mit elf vom Nachbarn vergewaltigt, mit 14 von der alleinstehenden Mutter zur Prostitution gezwungen, Erziehungsanstalt, Gefängnisaufenthalte. Wenn es stimmt, dass den Blues haben muss, wer den Blues singen will, ist es angesichts solcher Schmerzen nur folgerichtig, dass aus der 1915 in Philadelphia geborenen Billie Holiday eine der größten Jazzsängerinnen wird.
Ihr Stil, Songs wie „All Of Me“, „God Bless The Child“ und „In My Solitude“ in gefühlvolle Erzählungen zu verwandeln, beeinflusst auch nachfolgende Künstlerinnen wie Janis Joplin. Nur, dass der Ruhm um den Preis der Selbstzerstörung durch Alkohol und Heroin erkauft ist.
Das alte Lied von Musik und Sucht wird auch in Biopics über Charlie Parker, Miles Davis und Ray Charles gesungen. Immer verstärken Rassismus und Deklassierung den Druck, der auf jeder künstlerischen Selbstbehauptung liegt.
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Die Schlüsselszene in „The United States vs. Billie Holiday“ spielt sich in einem New Yorker Hotel ab. Billie Holiday, die in Begleitung einer weißen Freundin unterwegs und längst ein Star ist, darf den Fahrstuhl nicht betreten. Für Schwarze ist nur der Lastenfahrstuhl vorgesehen.
Wutschnaubend stürmt die Gedemütigte trotzdem voran. Doch der Liftboy, ebenfalls Afroamerikaner, stellt sich ihr in den Weg. Will er nicht, muss er aber, sein Job steht auf dem Spiel. „In den Südstaaten töten sie uns für weniger“, zischt er gequält. „Strange Fruit“ war Billie Holidays Art, Einspruch einzulegen.