Robert Andrich vor Wechsel, Kritik an Banner und Pfiffen
Eigentlich müsste die Stimmung prächtig sein beim 1. FC Union. Gegen Bayer Leverkusen starteten die Berliner am Samstag im dritten Bundesliga-Jahr erstmals mit einem Punktgewinn in die Saison und können voller Selbstvertrauen in das erste Europapokalspiel seit fast 20 Jahren gehen. Doch das Geschehen auf dem Rasen rückte schnell in den Hintergrund.
Schon vor dem Spiel gab es vor allem ein Thema: das Fehlen von Robert Andrich. Der 26 Jahre alte Mittelfeldchef stand überraschend nicht im Kader, sondern saß mit seiner Frau auf der Haupttribüne. Offiziell sprach der Verein von Adduktorenproblemen. Doch überzeugend wirkte es nicht, wie Urs Fischer nach dem Spiel über den Ausfall sprach. Andrich habe nicht gespielt, „weil er sich nicht bereit fühlte“, sagte Unions Trainer und delegierte die Frage nach einem möglichen Wechsel nach Leverkusen, über den schon seit Wochen spekuliert wird, an Oliver Ruhnert.
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Der Manager wollte vor dem Spiel bei „Sky“ nicht ausschließen, dass Andrich den Verein noch in diesem Transferfenster verlässt. 2022 läuft sein Vertrag aus, mit Leverkusen ist er sich Medienberichten zufolge schon länger einig. Es handelt sich für Union also vermutlich um die letzte Chance, eine Ablösesumme für den Potsdamer zu kassieren. Im Raum steht eine Summe von etwa vier Millionen Euro. Beim Portal „transfermarkt.de“ hat Andrich seinen Marktwert seit seinem Wechsel aus Heidenheim im Sommer 2019 von 600.000 Euro auf sieben Millionen gesteigert. „Dass er umworben ist, wissen wir, man muss jetzt eine schnelle Entscheidung finden“, sagte Ruhnert.
Es könnte tatsächlich sehr schnell gehen, auch wenn sich die scherzhaften Befürchtungen einiger Union-Fans in den Sozialen Medien, Andrich könnte gleich nach dem Spiel mit dem Leverkusener Mannschaftsbus abreisen, nicht bewahrheiteten. Offenbar ist der Berliner Bundesligist schon auf einen Abgang des Mittelfeldspielers vorbereitet. Darauf deutet zumindest ein Screenshot von der Union-Homepage hin, der am Samstag auf Twitter kursierte und auf dem bereits ein Abschiedsvideo angekündigt wird. Offenbar wurde der Beitrag kurze Zeit später wieder gelöscht.
Diese unbeabsichtigt frühe Veröffentlichung fügte sich ein in eine Reihe kommunikativer Irrungen und Wirrungen. Am Zaun der Gegentribüne hatte die Ultragruppierung „Wuhlesyndikat“ ein Banner mit der Forderung „Schluss mit den Einschränkungen – volle Stadien, volles Leben!“ aufgehängt. Das rief in dieser provokanten Form auch unter Union-Fans viel Kritik hervor. Im Stadionheft fand sich dazu zwar eine ausführliche Erklärung, doch deren Reichweite ist im Vergleich zum Banner verschwindend gering.
Die Argumentation der Ultras ist in Teilen durchaus nachvollziehbar: Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft und durch die 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet) ist das Infektionsrisiko deutlich geringer als noch vor einem Jahr. Natürlich braucht es Lösungen, wie unter diesen Umständen so viel Normalität wie möglich gewährleistet werden kann. „Schluss mit den Einschränkungen“ ging vielen Fans angesichts seit Wochen steigender Infektionszahlen dann aber doch deutlich zu weit.
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Bei etlichen Anhängern anderer Vereine gilt Union ohnehin schon als Pandemie-Verharmloser, zumindest wenn man dem Stimmungsbild auf Twitter glauben mag. Das ist sicher etwas einseitig, schließlich hat Union neben dem Stadion ein Coronavirus-Testzentrum aufgebaut und dort auch Impfungen durchführen lassen. Doch in der Öffentlichkeit finden solche Aktionen weniger Platz. Zumal es wirklich genug Anlass für Kritik gab, etwa die Parkplatz-Party nach dem Einzug in den Europapokal oder einige Aussagen von Dirk Zingler.
Auch am Samstagnachmittag wurde ein TV-Interview des Union-Präsidenten kontrovers diskutiert. In der Halbzeitpause äußerte sich Zingler bei „Sky“ zu den durchgehenden Pfiffen eines Teils der Fans gegen die Leverkusener Jonathan Tah und Nadiem Amiri. „Ich habe nicht gepfiffen“, sagte Zingler. Und statt eines Versuchs der Befriedung ergänzte er auf Nachfrage: „Die Jungs und Mädels, die hier stehen, die pfeifen – und es ist ihr gutes Recht.“
Abwehrspieler Tah hatte unmittelbar nach Unions emotionalem 1:0-Sieg Mitte Januar in einem Fernsehinterview gesagt, dass Unions damaliger Innenverteidiger Florian Hübner Amiri rassistisch beleidigt hätte. Selbst hatte er die Auseinandersetzung nicht gehört.
In der Folge versuchten beide Vereine, das Thema so klein wie möglich zu halten und taten nichts für die öffentliche Aufklärung. Was wirklich gesagt wurde, ist bis heute nicht bekannt. Letztlich wurde Hübner wegen einer Beleidigung für zwei Spiele gesperrt, Rassismus konnte ihm laut DFB-Sportgericht nicht nachgewiesen werden.