Philosophie und Theologie: Ratzingers Magd
Über Jahrhunderte galt die Philosophie als „ancilla theologiae“, als bloße Magd der Theologie. Sie lieferte das logische und begriffliche Rüstzeug, um die Lehre von Gott als höchster aller Wissenschaften zu befestigen. Ihre Emanzipation zur peitschenschwingenden Domina, unter deren Hieben zumindest die monotheistischen Religionen erzittern, war im Zuge der Säkularisierung nicht aufzuhalten.
Jeder wimmernde Widerspruch mit dem Versuch, sich in einen letzten argumentativen Winkel zu verkriechen, hatte weitere Sanktionen zur Folge. Spätestens seit der Friedenspreisrede von Jürgen Habermas im Jahr 2001, der das Wort von der „postsäkularen Gesellschaft“ in Umlauf brachte, gibt es aber Anlass, das Verhältnis neu zu bestimmen.
Es geht dabei nicht um den Rückfall in überwundene Zeiten. Die Philosophie als Kunst des begründeten Denkens, die heute auch die Zuhilfenahme der empirischen Wissenschaften nicht scheut, ist und bleibt das Gegenteil von Theologie. Sie hat jedoch Grund, sich ihrer eigenen Religionsreste zu versichern und diese, seien sie moralischer, kultureller oder nur sprachlich-metaphorischer Art, möglichst in säkulare Gehalte zu überführen.
Vernunft und Religion
Dies war das Projekt von Jürgen Habermas, das 2019 in die 1800 Seiten von „Auch eine Geschichte der Philosophie“, eine Studie zum Verhältnis von Glauben und Wissen mündete. Auf dem Weg dorthin war ihm Joseph Ratzinger, der verstorbene Papst Benedikt XVI., ein wichtiger Gesprächspartner. Berühmt wurde ihr Treffen, das 2004 in der Katholischen Akademie Bayern stattfand und unter dem Titel „Dialektik der Säkularisierung – Über Vernunft und Religion“ dokumentiert ist.
Wenn in den Nachrufen auf Benedikt nun immer wieder von der Begegnung zweier großer Geister die Rede ist, verfehlt das sicher nicht das intellektuelle Vermögen der beiden, wohl aber den Charakter ihres Dialogs: Letztlich mussten sie taub füreinander bleiben.
Gegen die Zuflucht des Theologen Ratzinger zu Offenbarungswahrheiten kommt der Philosoph Habermas mit seinem im doppelten Sinn „nachmetaphysischen“ Denken nicht an. Ob dies nun ein Lehrstück für den Ausgang ähnlicher Gipfeltreffen war? Ratzinger, dem nun ein allzu milder Glorienschein umgelegt wird, profitierte jedenfalls von Habermas – nicht umgekehrt.
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