Kuratorenteam der Documenta entschuldigt sich
Zu den prominentesten Werken der letzten Documenta gehörte die Rekonstruktion des Kasseler NSU-Mordes durch die britische Künstlergruppe Forensic Architecture. Sie erinnerte daran, was 2006 in einem Internet-Café geschah und nie vollständig aufgeklärt wurde.
Diesmal fällt nur auf, dass der früher „Gitterbrücke“ genannte Fußgängerüberweg über die Fulda nach Walter Lübcke heißt, dem 2019 durch einen Rechtsextremisten ermordeten Regierungspräsidenten. Von Documenta-Besucher:innen wird er häufig gequert, denn diesmal befinden sich Ausstellungsorte auf beiden Flussseiten.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Das bekannteste Werk der Documenta fifteen lässt sich allerdings nicht mehr sehen: Erst verhüllt, dann abgebaut, weil es antisemitische Darstellungen wiederholt. Für Kassel – alle fünf Jahre Nabel der Kunstwelt und danach wieder nur Hessens drittgrößte Stadt – ist das eine bittere Pointe.
Gerade hier hätte es eine kritische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Antisemitismus geben können, gerade hier wird die Chance verspielt, für ein paar Wochen das Kunstschaufenster der Republik zu sein.
Auch der Bund trägt Verantwortung am Desaster
Das erklärt die immer schrilleren Töne in der Debatte, der Ruf nach Entlassung von Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, ja, sogar von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Bund finanziert die Documenta zu großen Teilen und trägt als Geldgeber Verantwortung.
Kein Wunder, dass Bundeskanzler Olaf Scholz über eine Sprecherin der „Jüdischen Allgemeinen“ mitteilen ließ, dass er zum ersten Mal wohl seit dreißig Jahren nicht zur Documenta kommen werde und „die besagte Abbildung in Kassel abscheulich“ finde. Die Documenta bildet mithin Deutschland ab, auch wenn vornehmlich Künstler:innen des Globalen Südens ausgestellt sind.
Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 gilt als Fehler
Umso schneller musste Claudia Roth reagieren – endlich, nachdem sie in den Monaten vor der Documenta keinen Handlungsbedarf sah, als der Streit begann. Die Kulturstaatsministerin hat nun ad hoc einen fünf Punkte umfassenden Reformplan hervorgezaubert, nach dem der Bund wieder mehr Einfluss gewinnen soll. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung gilt heute als „schwerer Fehler“.
Geld gibt es fortan nur, wenn Vertreter des Bundes an Bord sind. In dem der Deutschen Presseagentur vorliegenden Papier heißt es: „Eine finanzielle Förderung des Bundes soll deshalb zukünftig mit einer unmittelbaren Einbindung in die Strukturen der documenta zwingend verbunden sein.“
Die Granden in Kassel und Hessen werden abgewatscht
Die bisherigen Gesellschafter von Land Hessen und Stadt Kassel sollen sich auf eine andere Struktur verständigen. „Es hat sich gezeigt, dass die bislang vor allem lokale Verantwortlichkeit der Documenta in einem Missverhältnis steht zu deren Bedeutung als einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen“, werden die Granden in Hessen und Kassel abgewatscht.
Sabine Schormann versucht derweil zu retten, was zu retten ist. Sie hat eine systematische Untersuchung der auf 32 Standorte verteilten Werke als fortlaufende Begleitmaßnahme angekündigt, denn die prozessual angelegten Präsentationen der verschiedenen Kollektive ändern sich permanent.
Das Kollektiv Subversive Film steht unter Verdacht
Als externer Experte wurde unter anderem Meron Mendel, der Leiter der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, hinzugebeten. Dabei wird man sich auch den Beitrag des in Ramallah ansässigen Kollektivs Subversive Film genauer anschauen, das ein Archiv revolutionärer Filme aufgebaut hat.
Dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche Deutschlands, Johann Hinrich Claussen, sind hier bereits Masao Adachis Propagandafilme „aus einem anti-israelischen-terroristischen Kontext“ aufgefallen, die er eine gezielte Provokation nennt. Sehen kann man sie auf dem Hübner-Gelände und im Gloria-Kino, das allerdings diese Woche geschlossen blieb „aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie“, wie es hieß.
Taring Padi plant ein javanisches Reinigungsritual
Laut Veranstaltungsprogramm plant Taring Padi am Samstag just am Friedrichsplatz, wo zuvor ihr Banner stand, ein javanisches Reinigungsritual, bei dem böse Geister ausgetrieben werden. Eine Erklärung des Kollektivs zu seinem abgehängten Werk fehlt bislang. Dafür hat das Kuratorenkollektiv Ruangrupa eine Entschuldigung auf der Documenta-Website veröffentlicht, verbunden mit der Hoffnung, dass nicht alles vergebens wäre.
Die Documenta fifteen sei doch so viel mehr. Das müssen die kommenden drei Monate beweisen.