Nichts für prüde Gemüter: Das Whole-Festival feiert Queerness
Deutschlands Festival-Landschaft ist groß, bunt und vielfältig. Doch selbst hierzulande sticht das Whole-Festival in Sachen Buntheit und Diversität besonders hervor: Das von Berliner Partykollektiven organisierte Event ist das einzige queere und sexpositive Elektrofestival in Europa, weltweit höchstens noch mit dem Honcho Campout in den USA vergleichbar.
Seit 2017 zieht es schwule, lesbische, bisexuelle, transsexuelle und nichtbinäre Menschen (und deren heterosexuelle Freunde) zum Whole – eine Mischung aus Party, Workshops und Kunst, die 2019 von Resident Advisor zu einem der zehn besten Festivals der Welt gekürt wurde. Seit 2018 findet es vor der spektakulären Kulisse des Industriedenkmals „Ferropolis“ im sachsen-anhaltinischen Gräfenhainichen statt, wo mehrere stillgelegte Kohlekräne und Förderbänder dystopisch in den Himmel ragen.
Es geht darum, einen Safe Space zu schaffen, in dem sich alle aus der Community gesehen und gehört fühlen.
David Wouters, Mitorganisator
Ins Leben gerufen wurde das Whole von Chris Phillips und Raquel Fedato aus Berlin, die es satthatten, dass sie sich als queere Menschen auf normalen Festivals nicht so frei zeigen oder verhalten konnten, wie sie das von den vielen Partys in der LGBTQI-Szene in Berlin gewohnt waren. „Es geht darum, einen Safe Space zu schaffen, in dem sich alle aus der Community gesehen, gehört und sicher dabei fühlen, ihre Identität auszudrücken“, sagt Mitorganisator David Wouters. „Für viele von uns ist es leider nicht normal, einen Raum zu haben, in dem man sich so frei entfalten kann.“
Künstlerkollektive aus aller Welt dabei
Zu den Gründungskollektiven des Whole gehörten unter anderen Members, Pornceptual, Trash Era, G Day und Female Pressure, im Laufe der Zeit kamen weitere Berliner Crews wie Buttons, Gegen, Lecken oder Room 4 Resistance dazu. In diesem Jahr ist das Festival so groß wie nie, mit 15 queeren Kollektiven aus Deutschland und 16 weiteren aus Ländern, in denen es zum Teil sehr gefährlich ist, schwul, lesbisch oder transsexuell zu sein, wie Uganda, Brasilien, Mexico, Türkei, Ukraine und China.
Ein Großteil der Künstler:innen, die auf dem Whole auftreten, sind selbst queer; anders als bei vielen Festivals ist die Quote an weiblichen, transsexuellen und nichtbinären DJs sehr hoch. Die Musik umfasst alle Spielarten von Techno, House und Electro. In diesem Jahr kommt zudem ein neuer Bass-Musik-Floor dazu, der Fans von Dub, Dancehall, Drum and Bass oder Dubstep erfreuen wird. Seit vergangenem Jahr gibt es zudem eine Ambient-Stage, auf der zwischendurch auch mal entspannt werden kann.
Entdecken, erkunden und ausprobieren
So inklusiv das Festival sein mag – für prüde Menschen ist es nichts: Kinky Outfits und viel nackte Haut dominieren das Aussehen der meisten Gästinnen und Gäste, die Deko ist zum Teil von Vulven und Penissen inspiriert. Verschiedene „Play Areas“ laden zum sexuellen Austausch ein – in vielen LGBTQI-Clubs Standard, auf Festivals eine absolute Ausnahme. Abgesehen davon gibt es auch etliche Workshops zum Thema Sexualität und Intimität, mit Titeln wie „Radical Healing“, „Gay Ass Yoga“ oder „Touching Tenderness“.
Das Konzept „Safe Space“ nehmen die Veranstalterinnen und Veranstalter sehr ernst: Um Übergriffen auf dem Gelände vorzubeugen oder Menschen aufzufangen, die Opfer eines Übergriffes geworden sind, steht ein großes Awareness-Team bereit.
Ebenfalls Teil des Programms sind künstlerische Installationen, Performances, Akrobatik und Theater. „Unsere Performance-Stage steht in diesem Jahr unter dem Motto ‚Dreamscapes‘, wo wir die Welt der Träume und den Einfluss, den sie auf unser Leben haben, erkunden werden“, sagt David Wouters.
Trotz allem Hedonismus legt das Whole Wert auf inhaltliche und politische Auseinandersetzung: Zahlreiche Workshops und Vorträge behandeln Themen wie Intersektionalität in unabhängigen Medien, die Grenzen der Identitätspolitik, Transrechte oder Rassismus gegen Queers, zu den Referent:innen zählen unter anderem die Bestseller-Autorin Emma Dabiri oder die LGBTQI-Aktivistin Shon Faye. Das Konzept geht auf: Nach einer coronabedingten Pause wurde das Whole im vergangenen Jahr von 5000 Menschen besucht.