„Ich habe schon gemerkt, wie der Herzschlag hochging“

Frau Hiltrop, wie geht es Ihnen nach diesem aufregenden Tag?

Es ist der Hammer. Trotzdem bin ich jetzt sehr müde und erschöpft. Man merkt, dass der ganze Druck und die Anspannung abgefallen sind. Und ich muss gestehen: Hunger habe ich auch. Dass letzte mal Essen gab es heute morgen um sechs zum Frühstück.

Was ist das für ein Gefühl: ein paralympischer Champion zu sein?

Ja, es fühlt sich – keine Ahnung. Es ist schwierig zu beschreiben. Ich bin superglücklich, dass das heute so gut funktioniert hat. Ist ja auch eine knappe Sache gewesen. Aber es hat gereicht. 

In einem Vorgespräch meinten Sie: „Ich fasse nicht direkt eine Medaille ins Auge. Dann kann man auch nicht enttäuscht werden.“ Das hörte sich nicht danach an, als würden Sie sich große Erfolgsversprechungen machen. Haben Sie gar nicht mit Gold gerechnet?

Ne, überhaupt nicht. Auch während des Wettkampfes habe ich mir das kaum vorstellen können, weil die erste Serie beim Vorkampf schon ziemlich schlecht gelaufen ist. Da dachte ich schon: Oh Gott, bitte nicht. Das muss jetzt noch ein bisschen besser werden, damit ich wenigstens ins Finale komme. Danach wird ja eh alles wieder auf null gesetzt. Dann gelten neue Regeln – neue Chancen. 

Sie haben erst ganz am Ende an dem Führenden Koreaner Jinho Park vorbeiziehen können. Was haben Sie während des Wettkampfes davon mitbekommen?

Ja, das müssen so die letzten fünf Schüsse gewesen sein. Ich habe aber nicht großartig auf irgendwelche Ansagen geachtet. Stattdessen habe ich mich nur auf die Kommandos konzentriert, wann man nachzuladen hat und so weiter. Gemerkt hat man es dann halt schon, wenn die letztplatzierten ausgeschieden sind, und man weiß, wir sind jetzt nur noch zu dritt. Dann wird einem bewusst: Okay, es geht jetzt ums Edelmetall. Da fing dann der Puls an hochzugehen. Es geht um die Wurst. 

Was haben Sie in dem Moment gemacht, um sich zu beruhigen und den Fokus nicht zu verlieren?

Ganz ruhig und langsam Atmen hilft da nur noch wenig, im Vergleich zur Qualifikationsrunde. Da hat man nicht mehr die Zeit – es geht alles auf Zack. Wenn man gegen Ende nur noch 30 Sekunden hat, um den Schuss vorzubereiten, dann muss man sich schon ziemlich konzentrieren. Aber in der Ruhe liegt die Kraft oder wie sagt man so schön?

War diese Spannung im Raum vergleichbar mit der in Rio, als Sie bei den Paralympics 2016 Silber holten?

Ja doch. Ich habe schon gemerkt, wie der Herzschlag hoch ging. Das war dann ähnlich wie in Rio. Das ist ein schönes Höhe-Gefühl. 

 Haben Sie den Moment auch genießen können?

 Ja auf jeden Fall. Es ist immer etwas Besonders, wenn die Anspannung steigt. Viel schöner wäre es natürlich mit einer Zuschauerschaft gewesen. Das Klatschen und Jubeln, die bringen da eigentlich immer nochmal mehr Druck rein. Aber es war ein schönes Finale und es hat Spaß gemacht. 

 Gibt Ihnen die Medaille Selbstvertrauen für die zwei noch ausstehenden Wettkämpfe?

 Ich werde natürlich versuchen, auch da mein Bestes zu geben. Es ist natürlich schön, mit dem Wissen in die nächsten Wettkampftage zu starten, dass es schon einmal geklappt hat. Das nimmt auch so ein bisschen den Druck weg. Trotzdem muss man aufpassen, dass man jetzt nicht zu leichtsinnig wird. 

Natascha Hiltrop (Mitte) übertraf ihren zweiten Platz von Rio: In Tokio reichte es zur Goldmedaille.Foto: imago images/Xinhua

 War das Leistungsdruck, der sich über die letzten fünf Jahre aufgebaut hat?

 Also gemerkt habe ich es ganz stark, als ich die Medaille schon gewonnen hatte. Es war definitiv pure Erleichterung, gerade mit dem Hintergedanken, dass man in Rio Silber gewonnen hat. Da will ich im Finale nicht gleich als erste rausfliegen, sondern entsprechend abscheiden. Im besten Fall setzt man sogar noch einen drauf.

 Das ist Ihnen heute mit der Medaille und einem neuen paralympischen Rekord von 253.01 Ringpunkten ja ordentlich gelungen oder?

 (Lacht) Ja, ich denke schon. Ich kann sehr zufrieden sein.

 Haben Sie sich nach dem Wettkampf auch ordentlich feiern lassen?

 Naja, viel Auszeit gab es jetzt nicht. Nach der Medaille selbst kam dann die Doping-Kontrolle, mit anschließenden Presseterminen. Danach ging es ins deutsche Haus, wo man von den anderen Teammitgliedern und Verbandsvorsitzenden in Empfang genommen wurde. Hier und da noch ein paar Interviews, und jetzt bin ich endlich Mal auf dem Zimmer. Jetzt kann ich mir kurz die Zeit nehmen und den Tag Revue passieren lassen. 

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.