Doppel mit 30 Jahren Altersunterschied

Sie sind das wohl ungewöhnlichste Doppel des neuen Para-Badminton-Wettbewerbs in Tokio, vielleicht sogar der gesamten Paralympics: Palak Kohli und Parul Parmar aus Indien. Die beiden Frauen trennt ein Altersunterschied von knapp 30 Jahren. Sie gehören unterschiedlichen Generationen an. Und trotzdem haben beide in ihrem Heimatland mit ähnlichen strukturellen Problemen zu kämpfen.

Palak Kohli ist grade mal 19, Parul Parmar schon 48 Jahre alt – und ist damit sogar älter als Kohlis Vater. Gemeinsam schreiben sie in Indien Geschichte. Sie sind das erste Badminton-Doppel überhaupt, das sich für die Paralympics qualifiziert hat. In Tokio treten die beiden Frauen als Doppel in der Startklasse SL3-SU5 für Menschen mit Beeinträchtigungen an den unteren und oberen Extremitäten an. Kohli wurde mit einem unvollständig ausgebildeten Arm geboren und spielt daher einhändig. Parmar ist als Kind an Polio erkrankt, wovon auch ihre Beine betroffen sind.

Auf dem Feld harmonieren sie perfekt. Seit 2019 haben sie vier Titel zusammen gewonnen und stehen mittlerweile auf Platz sechs der Weltrangliste. Ihr Erfolgsrezept ist die Koordination auf dem Platz: „Paruls Bewegungen sind eingeschränkt, daher laufe ich mehr“, sagte Kohli der indischen Tageszeitung „Times of India“. Heißt konkret: Parmar spielt näher am Netz und Kohli springt von einer Ecke in die andere, um den Ball zu returnieren.

Auch abseits des Spielfelds helfen sie sich gegenseitig aus. Besonders Parmar profitiert häufig von ihrer deutlich jüngeren Partnerin: „Sie ist immer da, wenn ich Hilfe mit der Technik brauche. Sie hilft mir zum Beispiel dabei, Apps herunterzuladen oder Online-Formulare auszufüllen“, sagt die 48-Jährige.

Parmar ist eine Legende, Kohli Indiens Shootingstar

Dass das ungewöhnliche Duo nicht nur wegen ihres Altersunterschiedes, sondern auch wegen sehr guter Leistungen bei den Paralympics für Schlagzeilen sorgen könnte, liegt an der individuellen Klasse beider Spielerinnen. Parul Parmar ist eine Legende in Indien: Sie bringt jahrelange Badminton-Erfahrung mit, war 2017 Weltmeisterin und ist die ehemalige Nr. 1 der Welt. Sie war eine der ersten indischen Frauen, die im Para-Badminton Erfolge feierte und gilt daher als Vorbild.

Palak Kohli ist Indiens kommender Superstar. Die 19-Jährige ist die jüngste Para-Badmintonspielerin in Tokio und in ihrem Heimatland eine der größten Medaillenhoffnungen. Als einzige der sieben indischen Para-Badmintonspielerinnen und -spieler hat sie sich für drei Wettbewerbe qualifiziert. Auch im Einzel und Mixed wird sie antreten.

Dass sie es bis nach Tokio geschafft hat, hat sie vor allem einem Mann zu verdanken: dem Nationaltrainer im Para-Badminton. Gaurav Khanna entdeckte sie in einem Einkaufszentrum in ihrer Heimatstadt Jalandhar und fragte, ob sie Para-Badminton spielen möchte. „Ich war im ersten Moment sehr überrascht, denn ich hatte vorher aufgrund meiner Behinderung noch nie Sport gemacht“, erzählte sie der Sportplattform „Skeeda“. Kohli überlegte nicht lange und begann mit dem Training. Khanna drückte ihr mit 15 Jahren das erste Mal einen Badmintonschläger in die Hand und brachte ihr die Grundlagen der Sportart bei.

 Nicht geheiratet – um Badminton zu spielen

Heute, vier Jahre später, gehört Palak Kohli zu den besten Para-Badmintonspielerinnen der Welt – und Gaurav Khanna ist weiter an ihrer Seite. Zusammen mit ihrer Doppel-Partnerin Parul Parmar trainiert sie an der von Khanna gegründeten Badmintonakademie in Lucknow, dem ersten Trainingszentrum für Para-Badminton in Indien. Der Nationaltrainer, der früher selbst Badmintonspieler war, trainiert seit 15 Jahren Spielerinnen und Spieler mit körperlichen und Hörbehinderungen und hat damit den Para-Sport in Indien maßgeblich vorangetrieben. „Ich habe ihm alles zu verdanken. Er glaubt an uns und inspiriert uns, jeden Tag unser Bestes zu geben.“, sagt Kohli über den Nationaltrainer. 

Einen Mentor wie Khanna an der Seite zu haben ist für Kohli und Parmar nicht nur aus sportlicher Sicht wichtig. Als aufstrebende Athletin muss man in Indien auch im 21. Jahrhundert noch einige Hürde überwinden. Frauen bekommen kaum Mittel zur Verfügung gestellt und Sport als Berufsweg wird häufig nicht anerkannt. Nach der Eheschließung dürfen viele Frauen nicht mal außerhalb ihres eigenen Haushaltes arbeiten. Laut des Hörfunkprogramms „Deutschlandfunk Kultur“ gehen nur 24 Prozent der indischen Frauen einer bezahlten Tätigkeit nach. Ein großes Problem, mit dem auch Parul Parmar zu kämpfen hat: „Ich habe nicht geheiratet, weil ich Badminton spielen wollte.“

Auch aus diesem Grund hat sie jahrelang gehofft, dass Badminton paralympisch werde. Dass die Sportart in diesem Jahr in Tokio ihre Premiere feiert, freut sie daher umso mehr. An der Seite von Kohli hat sie viel vor. „Wir haben uns einen Platz auf dem Podium als Ziel gesetzt und werden in den kommenden Tagen unsere ganze Energie verwenden, um dieses Ziel zu erreichen“, sagt Kohli vor dem Start des Doppel-Wettbewerbs am Donnerstag. Ein gutes Abschneiden wäre nicht nur für die beiden Sportlerinnen, sondern für alle Frauen in ihrem Heimatland wichtig: Damit die Rolle der Frau in Indien bald eine andere ist und es bald mehr als ein weibliches Para-Badminton Doppel gibt. 

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.