Starbariton Christian Gerhaher: Diskrete Intensität
Kunst ist nur kommunikativ möglich: So lautet die Überzeugung Christian Gerhahers, der im Anschluss an das Konzert im Kammermusiksaal Fragen aus seinem Publikum beantwortet. Jede Kunstform habe ihr Publikum nötig. Die kleine Gesprächsrunde ist ein „Nachklang“ in der philharmonischen Serie „Vokal“, moderiert von Meike Pfister.
Und das Wort hat auch Eleonore Büning, um dem Sänger und seinem Klavierpartner Gerold Huber den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik zu überreichen. Bünings Laudatio erfasst das gigantische Projekt einer Gesamtaufnahme aller 299 Schumann-Lieder, das die beiden Künstler zusammen vollbracht haben. Das gesungene Wort dieses märchenhaften Abends aber gehört dem späten Schubert, fünf Rückert-Liedern und seinem „Schwanengesang“.
Der Sänger zieht das Publikum sofort in seinen Bann
„O du Entriss’ne mir und meinem Kusse“: mutig gewählt der Eingang des Programms mit einem Text von Friedrich Rückert. Gerhaher aber zieht das Publikum sofort in seinen Bann. Das „Sei mir gegrüßt“ dieses Liedes, das als Textzeile sechs Mal wiederkehrt, hat bei Gerhaher sechs Nuancen auf dem Wort „gegrüßt“. Dazu herrlich lange Phrasen, so dass Text und Melodie sich zusammen entfalten. Die Baritonstimme hat an Tiefe gewonnen und darf sich expressiv in großes Fortissimo wagen.
Sie waren einst Sängerknaben in einem Kinderchor in Straubing, der Sänger und der Pianist, die nun seit mehr als 30 Jahren zusammen musizieren. Erstaunlich, welche Frische die künstlerische Gemeinsamkeit bewahrt. Gerold Huber ist gestaltender Musiker, der im „Ständchen“ (Rellstab) nach leise gezupfter Lautenbegleitung mit sprechender Imitation in den Gesang einstimmt, also auf dem Klavier singt. Oder im „Fischermädchen“ (Heine) aus dem leichten Tändeln der Begleitung in die Weite großen Gefühls aufbricht. Ein wunderbarer Pianist feiner Klangvisionen und Stimmungen, die er aus den Akkordverbindungen liest.
Symbiotisches Musizieren
Bei Gerhaher sind Wort und Ton innerhalb der musikalischen Linie absolut gleichberechtigt. Das Lied „Am Meer“ schließt in dieser großartigen melodischen Interpretation jedes einzelne Wort der Poesie ein. Dass Schubert nichts von der Ironie Heines fühlte, spiegelt sich bei Gerhaher in betontem Ernst des Gesangs. Erinnerungslyrik verströmt sich. Etwa im „Doppelgänger“, wo es, von ihm feinsinnig abphrasiert, um „manche Nacht, in alter Zeit“ geht.
Gerhahers Vorbild ist Dietrich Fischer-Dieskau, der epochale Meister des Kunstliedes. Spricht aus dessen Umgang mit genial vertonter Dichtung eher der Ich-Sänger, so will Gerhaher Identifikation vermeiden. Bei ihm herrscht der Reichtum der Farben in der Diskretion.
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