Pur und präzise
Wenn Menschen es immer ganz genau nehmen, dann nennt man sie Pedanten. In der Berliner Galerie von Daniel McLaughlin erfährt man, dass es Werner Haypeter mit dem Abstand der drei übereinander gehängten quadratischen Epoxidharz-Bildobjekte „Einausblick“ sehr genau genommen hat. Der Abstand der Bilder zur Fensterfront habe auf den Zentimeter genau exakt dem Abstand der Bilder zueinander entsprechen müssen. Und das obwohl die optische Wahrnehmung eine andere ist: Der Abstand zum Fenster sieht größer aus.
Eine andere Episode handelt davon, dass ein Sammler eine Arbeit wie die hier in der Ausstellung – bestehend aus zwei zwischen zwei Aluminiumprofilen geschobenen Plexiglasscheiben, die vordere transparent, die hintere opak geschliffen – in andere Abfolge bei sich zu Hause an die Wand montiert habe. So habe es dem Sammler besser gefallen. Und, nun ja, Werner Haypeter hatte dafür kein Verständnis. Zwischen den genannten Arbeiten liegen 15 Jahre. In der gesamten Schau finden sich Werke aus den Jahren 2000 bis 2021. Es ist also nicht die typische Galerieausstellung mit atelierfrischer Ware. Die Spanne erfasst vage den Zeitraum im Leben des Galeristen, in dem dieser Haypeters Kunst gewahr war. Daniel McLaughlin ist der Adoptivsohn des Bildhauers Alf Lechner. Und der hat Haypeter bereits 2003 in seinem eigenen Museum in Ingolstadt gezeigt: unter anderem die wandfüllende Arbeit aus fünf sehr schmalen, sehr langen Aluminiumprofilen, die nun auch an der Galeriewand hängt. McLaughlin nennt das eine „Brücke“ und einen Glücksfall – während er gleichzeitig mit der Geschichte von dem in letzter Minute gescheiterten Verkauf des Werks an ein Museum nicht hinterm Berg hält. Da hat der Unglücksfall den Glücksfall erst möglich gemacht. So kann man es sehen. Alles eine Frage der Einstellung. Und die ist demonstrativ positiv bei McLaughlin, dem man seine Jahre in New York anmerkt.
[McLaughlin Galerie, Linienstr. 32; bis 27. November, Di–Sa 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr]
Das zugleich Geometrisch-Abstrakte und Gestisch-Handgemachte, das Haypeters Arbeiten eignet, ist wohl der gemeinsame Nenner seiner Arbeiten, wenn nicht der eigentliche Markenkern von Haypeters Schaffen. Es findet sich in allen Werken, ob Flachware oder Skulptur. Zum Beispiel jene Epoxi-Quadrate am Fenster, noch einmal. Auf der Oberfläche von zweien sind Kreise erkennbar, viele kleine und ein großer: Die Summe der Flächen der kleinen Kreise ergibt die Fläche des großen Kreises. Den spielerischen Umgang mit der Mathematik kennt man aus der konkreten Kunst. Die unregelmäßigen Blasen in dem Sandwich aus Stahl, Spiegelplatten, Plexiglas und eben Epoxidharz stehen dazu in einem (nur) scheinbaren Widerspruch. Sie sind gewollter Verweis auf den handwerklichen Herstellungsprozess – und der ist durchaus aufwändiger, als es scheint. Haypeter fertigt sie ohne die Hilfe eines Assistenten in seinem Düsseldorfer Atelierhaus.
Das scheinbare Chaos hat eine feste Ordnung
Quasi ein weiteres Markenzeichen ist die gelbliche, fluoreszierende Farbe, die Haypeter für viele seiner Arbeiten verwendet. Das Licht lädt sie auf, in der Dunkelheit kommt sie zur Geltung und bringt die vier Meter hohe Skulptur im Raum zum Leuchten. Anders als Haypeters meiste Arbeiten hat sie mit „Structure“ einen Titel und besteht aus 84 mit Kabelbindern verbundenen Aluminiumstäben (95 000 Euro) – deren jeder einzelne von Haypeter mit 40 bis 50 Anstrichen mit dem fluoreszierenden Gelb versehen wurde. Zu den Malerarbeiten hinzu kommt ja noch die (nur) scheinbar chaotisch-willkürliche Anordnung (à la Mikado), die tatsächlich in Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekten Marian Manten und anhand eines Modells als geometrisch-abstrakte Figur aus gestapelten Dreieckspyramiden präzise erarbeitet wurde.
Wener Haypeter ist also einer, der es ganz genau nimmt. Ja, wenn Menschen es immer ganz genau nehmen, dann nennt man sie Pedanten. Aber wenn Künstler es immer ganz genau nehmen, dann sind sie: Künstler.