Das ewig Weibliche

Der Schiffskapitän hat Magenbeschwerden. Dagegen hilft die Ehe, sagt der Koch auf hoher See, und kaum ist der Holländer Jakob Störr an Land, beherzigt er den Ratschlag. Die erstbeste Frau, die das Café betritt, will er heiraten – wie schön, dass es sich ausgerechnet um Léa Seydoux handelt.

Die junge Pariserin, sie heißt Lizzy, schaut amüsiert, bittet um Feuer für ihre Zigarette und um schnelle Informationen – wie groß Sie sind, sehe ich selbst, also wann ist die Hochzeit? – und stellt den Kapitän gleich als ihren Verlobten vor, als ihr junger, italienischer Freund an den Tisch tritt.

Also wieder eine ungewöhnliche Lovestory von der lange zu Unrecht verkannten ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi, die für ihre zarte, im Schlachthof angesiedelte Liebesgeschichte „Körper und Seele“ 2017 den Goldenen Bären gewann und damit wiederentdeckt wurde.

Jetzt hat sie einen Zwanziger-Jahre-Roman ihres Landsmanns Milán Füst für die Leinwand adaptiert; „Die Geschichte meiner Frau“ von 1941. Im Buch ist der Kapitän ein raubeiniger Egoist, ein Vielfraß (deshalb die Magenschmerzen), der auch anderen Ausschweifungen so hemmungs- wie rücksichtslos frönt. Im Film, der in Cannes seine Weltpremiere feierte, ist Jakob Störr eher sanfter Natur, ein hübscher, redlicher, bei der Schiffsbesatzung geschätzter Mann (Gijs Nader), der seine wunderschöne Frau anfangs auf Händen trägt.

In „Körper und Seele“ begegnen sich die Liebenden in ihren Träumen. In „Die Geschichte meiner Frau“ ist das Leben ein Traum. Ein Augenaufschlag unter der Hutkrempe, wortlose Blickwechsel, magische Räume, Rembrandt’sches Chiaroscuro: Enyedis mit Sinnlichkeit getränkte Bilder und die elegante Kamera von Marcell Rév ziehen einen auf der Stelle in Bann.

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In der Hochzeitsnacht sitzt das Paar am Holztisch, isst gebratenen Fisch mit bloßen Händen und spielt Seemannspoker. Wer verliert, muss ein Kleidungsstück ausziehen. Am Ende hat Lizzy nur Hut und Handschuhe abgelegt, und Jakob sitzt nackt auf dem Stuhl. Boy meets girl, die uralte Geschichte, ein erlesen ausgestatteter Kostümfilm, ebenso erlesene Filmmusik, Bach, Bruckner, Tschaikowsky – Enyedi sorgt für feine, amüsante Irritationen dieses gediegenen Settings.

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Leider ändert sich das nach der Hochzeitsnacht rasch. Wie beim Roman ist der Titel insofern falsch, als in den sieben Kapiteln des 170-Minuten-Films – von „Über die praktische Lösung eines Problems“ bis zu „Über das Loslassen“ und einem Nachspann – die Chronik einer Ehe aufgeblättert wird, die sich als Männerfantasie entpuppt. Über Jakob erfährt die Zuschauerin viel, über Lizzy nichts.

Kapitän Störr will Kontrolle. Aber seine Frau bleibt unergründlich

Das ewig Weibliche, ein Mysterium: Sind der junge Italiener und später der reiche Galan Dedin (Louis Garrel) ihre Lover? Was tut sie den lieben langen Tag in Paris und – nach einem Umzug – in der Hamburger Speicherstadt? Was wissen ihre vornehmen Freunde, die Jakob beim Dinner als Seebär begrüßen? Seine knappe Replik: „Ich bin so wenig ein Seebär, wie Sie eine Landratte sind“. Solche prägnanten Dialoge werden immer seltener.

Eines Tages legt Lizzy das nach langer Seefahrt mitgebrachte Parfum nur noch achtlos beiseite. Irgendwann traktiert Jakob nicht nur das Mobiliar, sondern schlägt ihr ins Gesicht: Szenen einer Ehe, die von Misstrauen, Verdächtigungen, Eifersucht und zunehmender Aggression zersetzt wird. Störr gibt die Seefahrt auf, arbeitet am häuslichen Schreibtisch, will die Kontrolle, heuert einen Privatdetektiv an. Aber Lizzy entzieht sich, da kann Léa Seydoux noch so verführerisch vielsagend schauen. Ob aus Freiheitsliebe, Trotz oder Verschlagenheit, es bleibt ihr Geheimnis.

Diesmal belässt Ildikó Enyedi es konsequent bei der Männerperspektive

Auch die Protagonistin von „Körper und Seele“ war eine stille, seltsame Frau. Aber während Enyedi sich der menschenscheuen Fleischkontrolleurin in ihrem Schattendasein behutsam und einfühlsam näherte, belässt sie es diesmal konsequent bei der Männerperspektive.

[In Berlin läuft der Film ab dem 4. November in zwölf Berliner Kinos, auch OmU]

Nobelrestaurants, Zugfahrten, Bootstouren, Meeresimpressionen: Unentwegt zaubert die 65-jährige Regisseurin atmosphärisch dichte, auch surreale Tableaus. Aber wozu? Die Schauwerte bleiben Dekor, angelagert um das Antlitz einer unergründlichen Frau. Abgesehen von einer einzigen Szene in der Mitte des Films, als die beiden nach einem Streit noch einmal Sex haben. Zwei in der Dunkelheit leuchtende nackte Körper, eine kleine Vignette am Ende der Zimmerflucht – die Chimäre einer schwindenden Liebe. Vielleicht entfaltet Enyedi in all den Episoden und Ellipsen ja auch nur einen Sekundentraum: Jakobs Vision in jenem Moment, als Lizzy das Café betritt.

Und da sind noch die Nebenfiguren, Udo Samel als Detektiv, Ulrich Matthes als Arzt, Luna Wedler als Grete, mit der Jakob eine Affäre versucht, Josef Hader als schrulliger Vermieter. Die Kurzauftritte scheinen der ungarisch-deutsch- französisch-italienischen Koproduktion geschuldet zu sein, der Einfachheit halber sprechen die Eheleute Englisch miteinander. Früher hieß so etwas Europudding. Freuen wir uns auf den nächsten Film von Ildikó Enyedi.