Die britische Postpunk-Band The Idles in Berlin: Statt eines Hallelujahs lieber Viva Palästina
Als die britische Postpunk-Band The Idles Mitte Februar in London ihr neues Album „Tangk“ erstmals live vorstellte, brachte sie auf diesem Konzert mehrmals ihre Solidarität mit den Menschen im Gaza-Streifen zum Ausdruck. „Lang lebe Palästina“ skandierte Sänger Joe Talbot vor einem Song über seine Mutter, und in einem anderen veränderte er den Refrain in die Zeile „Can I get a Hallelujah? Viva Palestina“.
Nachdem die politisch sich als explizit links verstehenden Idles im November vergangenen Jahres von den Kollegen der Punk-Band Bob Vylan als „Feiglinge“ bezeichnet worden waren, weil sie sich nicht öffentlich zu Israel und zum Gaza-Krieg positionierten, scheint die zur Schau gestellte Solidarität mit den Palästinensern jetzt gewissermaßen zum Repertoire der Band zu gehören.
Aus dem Leben Joe Talbots
Denn auch in der fast ausverkauften Max-Schmeling-Halle in Berlin Prenzlauer Berg ertönt am Freitagabend zwischen zwei Songs früh der Ruf „Viva Palestina“, und zwar ebenfalls vor Joe Talbots Ode an seine Mutter, die im Grunde eine Kampfansage an den Sexismus ist: „Sexual Violence doesn’t start and end with rape/It starts in our books and behind our school gates.“
Sexual Violence doesn’t start and end with rape/It starts in our books and behind our school gates.
The Idles, „Mother“
Der Tod der Mutter, von der ein Fotoporträt unter anderem das Cover des Idles-Debütalbum „Brutalism“ ziert, wie diese ihn gelehrt hat, was richtig und falsch ist und welche Leute er meiden soll, seine Alkohol- und Drogensucht, nachdem seine erste Tochter tot geboren worden war, und wer ihn davon geheilt hat (die Jungs seiner Band), seine Entdeckung der Liebe als Nonplusultra: Man erfährt ziemlich viel an diesem Abend aus dem Leben des Idles-Mastermind Joe Talbot.
Der Punkrock der Idles ist nicht nur einfach eins, zwei, drei und epigonal und selbstreferentiell, sondern steckt voller Botschaften, er beklagt soziale Ungerechtigkeiten, das öde Vorstadt-Dasein, Rassismus, Sexismus und toxische Männlichkeit. Die Ildes feiern die gute alte Working Class, selbst wenn Talbot der gar nicht entstammt (wie einmal die Sleaford Mods moserten).
Problematische Männlichkeit
Allein der Opener des Konzerts, „Colossus“, ist eine Ansage, zusammen mit dem Kleid, in dem Idles-Gitarrist Mark Bowen in der Regel bei Live-Konzerten auftritt: ein dräuendes, von Talbot eher gesprochen-skandiertes als gesungenes Stück über problematische Maskulinität, zweifelhaft eher in seinem Überwältigungsfuror. In der Folge spielen die Idles dann ein gleichermaßen puristisches wie abwechslungsreiches (Post-) Punkrock-Konzert: mit Hardcore-Einsprengseln und Stücken wie dem Joy-Divison-haften „When The Lights Come On“, den wirklich schönen Hits des neuen Albums, „Grace“ und „Dancer“, oder, ebenfalls von „Tangk“, dem elegischen Vor-und-Zurück-Gassenhauer „Pop Pop Pop“. Darin stimmt Talbot ein Hoch auf die Liebe an und kreiert das Wörtchen „Freudenfreude“.
In „The Wheel“, einem Stück des vierten Idles-Album „The Crawler“, das eigentlich die Zerstörung von Talbots Mutter durch den Alkohol thematisiert, baut Talbot dann wieder nach der Frage, ob er denn nicht ein „Hallelujah“ bekommen könne, mehrmals den „Viva-Palästina“-Ruf ein. Das nimmt der unermüdliche Moshpit vorn hin, ohne sich von einer eigentlich Bestimmung abbringen zu lassen: Action, Action, Action, knapp hundert Minuten lang.
Großartig zum Schluss „Never Fight a Man with a Perm“, mindestens auf acht Minuten ausgewalzt, und das knappe, Sleaford-Mods-ähnliche „Dancer“. Und wieder weniger großartig die Predigt, die Talbot am Ende meint halten zu müssen. Dass man Leben und Liebe feiern, sich für Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzen müsse, hier in Deutschland, in Palästina und so weiter und überhaupt. Nun denn. „Fuck the King“ hatte Talbot irgendwann in der Mitte des Konzerts ebenfalls mehrmals gerufen, worin lauthals eingestimmt wurde. Einmal ein lautes „Fuck the Hamas“ wäre auch ganz cool und angebracht gewesen.