Hertha BSC muss in die Relegation
Stevan Jovetic zog in der Nachspielzeit im Strafraum nach innen, schoss aufs Tor – und die ersten Fans von Hertha BSC begannen schräg hinter dem Tor zu jubeln. Der Ausgleich? Die Rettung? Nein, der Ball hatte nur das Außennetz berührt. Wenige Minuten später war Schluss: Hertha verlor 1:2 (1:0) bei Borussia Dortmund.
Das allein wäre im Fernduell mit dem VfB Stuttgart noch kein Problem gewesen. Doch kurz vor Jovetics Chance hatte der VfB in der Nachspielzeit durch Wataru Endo das Siegtor zum 2:1 (1:0) gegen den 1. FC Köln erzielt.
Diese über weite Strecken eher spannungsarme Bundesliga-Saison hielt ganz am Ende also großes Spannungskino parat. Mit der Folge, dass Stuttgart auf direktem Wege in der Liga bleibt, für Hertha geht die einmal mehr völlig verrückte Spielzeit und die Rettungsmission von Trainer Felix Magath in der Relegation weiter. Letztmals waren die Berliner da vor zehn Jahren tätig und stiegen gegen Fortuna Düsseldorf ab.
Gegner wird der Zweitliga-Dritte, momentan ist das der Hamburger SV. „Es wird die Hauptaufgabe, die Mannschaft wieder aufzubauen. Egal, wer kommt“, sagte Sportgeschäftsführer Fredi Bobic. Das Hinspiel findet am Donnerstagabend im Olympiastadion statt, das Rückspiel am Montag danach.
Dieser Umweg zum Ligaverbleib ist mehr als unnötig, doch Hertha schaffte es zum zweiten Mal nacheinander nicht, den letzten Schritt zum Klassenerhalt zu machen. Und zuvor war bei Arminia Bielefeld der Sieg in den Schlusssekunden abhandengekommen.
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]
„Wir haben dem Druck eigentlich standgehalten“, sagte Magath nach dem Spiel beim BVB: „Aber leider dann zwei Gegentore bekommen. Das war eins zu viel.“ Insgesamt versuchte der Trainer, trotz des bitteren Endes das Positive zu sehen: „Ich finde, wir haben ein gutes Spiel abgeliefert. Daher ist mir nicht bange vor der Relegation.“
Als Herthas Spieler nach dem Abpfiff alle mitgekommen hatten, was in Stuttgart passiert war, sanken viele auf den Rasen. Wenn sie dort nicht ohnehin schon gesessen hatten. Kapitän Dedryck Boyata feuerte wütend seine Kapitänsbinde weg. „Zweite Liga, Hertha ist dabei“, sangen die BVB-Fans. Aufmunterung gab es unterdessen von den mehr als 4000 mitgereisten Hertha-Anhängern, die der Mannschaft applaudierten. Aber auch im Gästeblock saßen nicht wenige noch lange nach Spielende fassungslos auf den Stufen.
BVB verabschiedete Vereinslegenden
Gegenüber war die Südtribüne weiterhin komplett gefüllt. Dortmunds Fans verabschiedeten vor allem zwei Vereinslegenden: Der frühere Kapitän Marcel Schmelzer, der 17 Jahre im Verein war, hört ebenso auf wie Michael Zorc, eine der prägendsten Figuren in der Geschichte des BVB. Zorc war 1978 zum Verein gekommen, ist Rekordspieler, war seit 2005 Sportdirektor und hat zahlreiche Titel gewonnen.
Dem 59-Jährigen war bereits vor dem Spiel bei der offiziellen Verabschiedung von den Fans eine imposante Choreografie gewidmet worden. Auch andere Profis, die den Klub verlassen, wie Torwart Roman Bürki oder Stürmer Erling Haaland hatten da viel Beifall bekommen.
Auf dem Rasen war danach erst einmal deutlich weniger los. Hertha überließ den Gastgebern den Ball, attackierte aber in diesem so wichtigen Spiel aggressiv und mit sehr viel Einsatz. Was auf der Bank unter anderem von Kevin-Prince Boateng goutiert wurde, den Trainer Felix Magath diesmal nicht in die Startelf beorderte hatte. Dort fehlten im Vergleich zum Spiel gegen den FSV Mainz 05 auch Vladimir Darida, Marton Dardai und verletzungsbedingt Davie Selke.
Neu dabei war neben Maximilian Mittelstädt, Marvin Plattenhardt und Jurgen Ekkelenkamp auch Ishak Belfodil. Und wenn es mal nach vorn gefährlich wurde, war der Stürmer beteiligt. Vor allem nach gut einer Viertelstunde: Belfodil zog in den Strafraum, Dan-Axel Zagadou brachte ihn zu Fall. Elfmeter entschied Schiedsrichter Tobias Stieler.
Dortmund zeigte über weite Strecken wenig
Aber da war eine gehobene Fahne von Assistent Eduard Beitinger. Stieler überprüfte, ob Belfodil vor dem Foul im Abseits gestanden hatte. Hatte er nicht, es gab Strafstoß und Belfodil verwandelte sicher. Die Führung tat Hertha nicht nur für das eigene Spiel gut, sondern auch weil sich einige Minuten vorher etwa 400 Kilometer südwestlich zum ersten Mal etwas getan hatte: Der VfB war in Führung gegangen und hatte damit den Druck auf die Berliner erhöht, die zu diesem Zeitpunkt nur einen Gegentreffer von der Relegation entfernt waren.
Nun sah die Lage wieder entspannter aus. Zumal Dortmund weiterhin sehr wenig zeigte. Erst nach mehr als 35 Minuten brachte Marius Wolf einen Kopfball zumindest in die Nähe des Hertha-Tores. Und in der Nachspielzeit wurde eine Flanke von Zagadou ziemlich unberechenbar. Torwart Marcel Lotka – der einen Vertrag beim BVB für die neue Saison unterschrieben hat, Hertha will ihn aber trotzdem halten – ging mit einer Hand zum Ball. Dabei prallte er mit dem Gesicht gegen den Pfosten und musste behandelt werden, konnte aber weiterspielen. Einen Schuss aufs Tor hatte der BVB damit in den ersten 45 Minuten nicht zustande gebracht, Hertha genau einen. Der reichte zur Pausenführung.
Nach dem Wechsel verstärkte Dortmund die Bemühungen deutlich. Fast hätte sich das schnell ausgezahlt, doch Marco Reus scheiterte beim Versuch, Torwart zu Lotka umspielen. Hertha kam der Rettung Stück für Stück näher. Erst recht, als Köln nach knapp einer Stunde in Stuttgart ausglich. Allerdings hatten die Berliner so gut wie keine Entlastung mehr nach vorn.
Dann gab es erneut Videobeweis. Und erneut Elfmeter. Diesmal gegen Hertha, wegen eines Handspiels von Plattenhardt. „Das hat mit Sport nichts mehr zu tun und mit Fußball schon gar nicht“, ärgerte sich Magath über die Entscheidung. Bei Haalands Schuss war Lotka dann noch mit dem Fuß dran, der Ball fand aber den Weg ins Tor, Ausgleich in der 68. Minute. In Sachen Klassenerhalt war noch nichts passiert. Hertha war weiterhin gerettet.
Aber der BVB wollte nun doch mehr. Und schaffte mehr. Der soeben eingewechselte Youssoufa Moukoko brachte den Ball bei seinem Schuss von links über den Innenpfosten im Tor unter. Das war in der 84. Minute und auch da war Hertha noch Tabellen-15. Bis sich ein letztes Mal in Stuttgart etwas tat. Gegen 18 Uhr verabschiedete sich dann Stadionsprecher Norbert Dickel auf der Anzeigetafel von den Zuschauern: „Die Sommerpause hat begonnen.“ Jedoch nicht für alle.