Kann Spuren von Antisemitismus enthalten: Der Abschlussbericht zur Documenta 15

Auf dem Bildschirm landet eine Datei, die sich „Abschlussbericht final“ nennt. Man lädt herunter, was die documenta dieser Tage in einer Pressemitteilung versendet. Absender ist, genauer gesagt, der Aufsichtsrat der documenta und Museum Fridericianum in Kassel, und bei der pdf-Datei geht es, genauer gesagt, um das Dokument „Abschlussbericht. Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen.“

Ist das jetzt wirklich final?

„Final“ steht freilich nicht über dem Bericht. Bekanntlich zeugt das Wort in Dateinamen davon, dass viele Versionen zirkulierten, ehe sich auf eine „finale“ geeinigt wurde.

Dennoch passt das Missverständnis. Denn der Bericht soll signalisieren, hier sei nun das letzte Wort gesprochen. Ein Rat hat getagt und legt seine Schrift vor, ein wenig wie ein Gericht. Sieben Sachverständige haben die Ereignisse bewertet, die 2022 während der Kunstausstellung documenta 15 zu Turbulenzen, Entsetzen und Blamagen führten: Ein Antisemitismus-Skandal in Deutschland weckte weltweit Aufmerksamkeit. 

Vier Werke der documenta 15 verweisen auf antisemitische visuelle Codes oder transportieren Aussagen, die als antisemitisch interpretiert werden können.

Aus dem Expertenbericht der Abschlusskommission

Fünf der sieben Sachverständigen halten Professuren: die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, die Kunsthistorikerin Marion Ackermann, die Soziologin Julia Bernstein, Peter Jelavich von der Johns Hopkins University, und Christoph Möllers, Jurist an der Humboldt-Universität. Wissenschaftlicher Koordinator war Cord Schmelzle vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, und zum Gremium gehörte Marina Chernivsky, Leiterin des Berliner Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment.

Ihr Bericht kommt zu dem Schluss, dass „vier Werke der documenta 15 auf antisemitische visuelle Codes verweisen oder Aussagen transportieren, die als antisemitisch interpretiert werden können“. Es geht um „People’s Justice“, um Teile der „Archives des luttes des femmes en Algérie“, die „Tokyo Reels“ und die Bilderserie „Guernica Gaza“. Alle wurden öffentlich breit diskutiert und werden hier mit Akribie analysiert. Auch weitere Werke, ließe sich sagen, können Spuren von Antisemitismus enthalten.

Als eindeutig „nicht angemessen“ stuft das Gremium die Reaktionen der künstlerischen Leitung wie der Geschäftsführung ein. Sie hätten „die Situation verschärft“. Bei der künstlerischen Seite erkennt das Gremium Abwehr, bei der Geschäftsführung Passivität. Einen konstruktiven Katalog mit klaren Empfehlungen zur institutionellen Neuorganisation und besseren Kontrolle der documenta enthalten die konzisen 130 Seiten auch.

Hypervorsichtig weist eine Passage etwa auf unterschiedliche Definitionen zu „israelbezogenen Antisemitismus“ hin – ein Kern der Causa. Zum Kurator der documenta war ein indonesisches Künstlerkollektiv berufen worden, ruangrupa, das seinerseits Kollektive aus dem „Globalen Süden“ einlud. Nicht zuletzt durch den Trend der Postcolonial Studies gibt es in einst kolonisierten Regionen starke antisemitische Ressentiments gegen Israel als „letzten Kolonialstaat“. Das war zuvor ebenso bekannt, wie die problematischen Positionen von ruangrupa.

Monate vor der documenta 15 gab es Warnungen. Doch die postkoloniale Mode ist, zumal in der Kunstwelt und Teilen der akademischen Welt, derzeit zu attraktiv, auch, da sich jüdische Opfer durch koloniale überblenden lassen, wie der Historiker Steffen Klävers in seiner Studie „Decolonizing Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung“ beschreibt.

„Final“ kann ein Bericht über diesen Sommer der Kunst in Kassel kaum sein. Denn die Causa weist weit über Kassel und die documenta hinaus. Ein ehemaliger Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, hat zum Leitmotiv seiner Arbeit die Aussage „Nichts ist erledigt“ gewählt. Für diese Causa gilt das allemal.

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