Im Erzählen wohnt der Widerstand

Große Eile hatte Sten Nadolny schon nicht, als er das erste Mal einen Erfolg im Literaturbetrieb feiern konnte, in einem für einen Debütanten durchaus fortgeschrittenen Alter.

Kurz vor seinem 38. Geburtstag gewann er 1980 in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis, mit einem Auszug seines späteren Weltbestsellers „Die Entdeckung der Langsamkeit“ – doch statt diesen zügig fertig zu schreiben, debütierte er ein Jahr später mit dem eher kleinen, nicht unfeinen Erziehungsroman „Netzkarte“.

Dieser erzählt von dem angehenden Lehrer Ole Reuter, der nicht so recht weiß, was er aus seinem Leben machen soll und in einem Abstand von fünf Jahren zweimal kreuz und quer mit der Bahn durch die Bundesrepublik fährt, um schließlich, wie es der gelernte Geschichtslehrer Sten Nadolny ebenfalls getan hat, seinen Beruf einen schönen sein zu lassen und sich anderen, kontemplativeren Dingen zuzuwenden.

Wie sein Vater wollte dieser Ole Reuter doch nicht werden und einfach das Leben an sich vorbei ziehen lassen: „Das gibt es ja, dass jemandes Zeit vorbei ist, aber zu schnell ist es gegangen! Die Enkel und Urenkel müssen sehen, dass einiges wieder langsamer wird und anderes gerechter, das ist viel Arbeit. Sonst bleiben nur Medien, Langeweile und eine neue Bombe.“

“Die Entdeckung der Langsamkeit” wurde zwei Millionen Mal verkauft

Nadolny, der 1942 im brandenburgischen Zehdenick geboren wurde, hat seinen eigenen Zeitbegriff – und ein eigenes Gerechtigkeitsempfinden: Das Klagenfurter Preisgeld verteilte er unter allen Teilnehmern des Bachmann-Jahrgangs 1980. Das Motiv der Langsamkeit schrieb er dann in seine folgenden Romane ein.

Natürlich in die schließlich 1983 erscheinende „Entdeckung der Langsamkeit“, der Lebensgeschichte des zunächst begriffsstutzigen, von Geburt an verlangsamten, dann aber durch Ruhe, Gedankenfülle und Klugheit Triumphe feiernden Seefahrers und Polarforschers John Franklin; aber auch in den erst 1990 veröffentlichten Nachfolger „Selim oder Die Gabe der Rede“, der das Erzählen als solches feiert, als Utopie in geschwindigkeitsseliger Zeit: „Wenn irgendwo, dann wohnt der Widerstand im Erzählen, listig, schwer erkennbar, erst nach längerer Zeit wirksam.“ Und: „Erzählen widersteht der Eile“.

Naturgemäß tat Nadolny sich schwer nach dem riesigen Erfolg seines John-Franklin- Romans, der bis heute zwei Millionen Mal verkauft wurde, diesen zu wiederholen. Sein Autorenname ist zu einem Synonym für „Die Entdeckung der Langsamkeit“ geworden – oder umgekehrt.

“Manches las sich flott”

Doch hat Nadolny sich auch nie unter Druck setzen lassen. Seinem Zeitbegriff ist er treu geblieben, seiner Poetologie der „geistesgegenwärtigen, zeitvergessenen Langsamkeit“, für ihn der Inbegriff von Literatur.

Eine große Umsicht, eine gewisse Bedächtigkeit und feine Ironie zeichnet seine Bücher aus, die in großen Abständen erschienen, wie 1999 der „Netzkarte“-Nachfolgeroman „Er oder ich“, 2003 der „Ullstein“-Roman und 2017 „Das Glück des Zauberers“, sein bislang letzter und schwächster Roman.

Vor diesem aber hatte er fünf Jahre zuvor mit „Weitlings Sommerfrische“ einen veritablen Bestseller geschrieben, der auch von der Kritik gelobt und für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde; einen Roman über einen Schriftsteller, der sich seiner Jugend erinnert, keiner verlorenen. Denn ganz einverstanden ist er mit seinem Werk: „Ich war dann gar nicht so unglücklich damit, manches las sich flott.“

An der Figur des John Franklin hat sich Nadolny als Schriftsteller und auch als Mensch manches Beispiel genommen, und das zu seinem Glück und seiner Lebenszufriedenheit. An diesem Freitag feiert Sten Nadolny in Berlin seinen 80. Geburtstag.