Was „Fast & Furious 9“ mit Wes Andersons neuem Film verbindet
Wenn in den „Looney Tunes“-Cartoons von Chuck Jones die ganz großen Geschütze aufgefahren wurden, holten Bugs Bunny, Daffy Duck & Co auch schon mal einen Riesenmagneten gegen ihre Widersacher raus. Es sagt einiges über das Selbstverständnis des unkaputtbaren „Fast & Furious“-Franchises – das sich nach einem Streit zwischen seinen Stars Vin Diesel und Dwayne Johnson wie bei einer Zellteilung verdoppelt hat –, wenn im neunten Film die Muscle Cars von Dom Toretto (Diesel) und seiner Crew mit Elektromagneten ausgestattet werden.
In Sachen Action bleibt in „Fast & Furious 9“ kaum noch Innovationsspielraum, die Vorgängerfilme haben ganze Arbeit geleistet: Autosprünge von Wolkenkratzern vor der Skyline Dubais, ein SUV-Regen über Downtown New York.
Ein Elektromagnet hat dagegen einen fast schon alltagspraktischen Nutzen: Man kann mit ihm die Stromversorgung eines kompletten Stadtviertels lahmlegen oder parkende Autos durch Häuserfassaden katapultieren. Was das Cartoon-Potential von „Fast & Furious 9“ angeht, könnte Vin Diesel demnächst auch gleich im Entenkostüm auftreten. Wer erinnert sich nicht noch gerne an George Lucas’ Science-Fiction-Flop „Howard the Duck“?
Das Strand-Kino in Cannes ist dieser Tage vielleicht der einzige Ort, an dem man das Kino ohne ein latentes Unbehagen genießen kann – so viel dürfte spätestens nach der Regierungserklärung von Emmanuel Macron am Montag klar sein.
Die Kinosäle rund um die Croisette nämlich bleiben bis zum Ende des Festivals voll ausgelastet, die Testpflicht tritt erst ab dem 21. Juli in Kraft. Man setzt sich gerade immer unwilliger in die Wettbewerbskinos Grand Théâtre Lumière und Debussy, auch wenn sich die Reihen in den vergangenen Tagen auf wundersame Weise gelichtet haben.
Also raus an den Strand. Die Berlinale hat das Konzept Freiluftkino ja gerade erst erfolgreich erprobt, in Cannes ist das „Cinéma de la Plage“ vor den Kulissen der Luxushotels entlang der Croisette schon lange fester Bestandteil im Festivalkalender.
Die Frankreich- Premiere von „Fast & Furious 9“ gehört zur Charme-Offensive von Leiter Thierry Frémaux, um sein Festival ein wenig inklusiver zu gestalten. Außerdem ist es ein mächtiges Statement der Arthouse-Bastion Cannes.
Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass die über ein Jahr verschobene Weltpremiere von Wes Andersons „The French Dispatch“ ebenfalls für Montagabend angesetzt ist. In Cannes hält man sich mit großen Gesten nicht zurück: Auch ein Hollywood-Franchise wie „Fast & Furious“, sozusagen die Antithese zum Autorenkino, das an der Croisette gefeiert wird, soll in diesem so schwierigen Jahr eingemeindet werden.
Die Actionsequenzen wurden real gedreht
Es ist allerdings auch eine Mogelpackung: Venedig hat sich bereits Denis Villeneuves Sci-Fi-Epos „Dune“ als Weltpremiere gesichert, Cannes darf nur die Massenware zeigen. In einem normalen Jahr hätte man sich über das zweifelhafte Angebot aus Hollywood eher gewundert.
Aber irgendwie passt „Fast & Furious 9“ auch in diese Cannes-Ausgabe, die zu Beginn der zweiten Woche schwergängiger anläuft. Kommende Generationen werden die Reihe, die mit ihrer überaus diversen Besetzungsstrategie der Entwicklung in der US-Branche um Jahre voraus war (ganz zu schweigen von Frémaux’ zögerlichen Bemühungen), vielleicht tatsächlich mal in einem Atemzug mit den klassischen Warner-Cartoons nennen.
[„Fast & Furious 9“ läuft ab Donnerstag in den Kinos]
Regisseur Justin Lin lässt sich in seinem fünften Film des Franchises von den Gesetzen der Physik keine Grenzen setzen, wobei immer wieder verblüfft, wie viele Actionszenen real gedreht wurden, also nicht am Rechner entstanden. Spektakulär ist die Verfolgungssequenz, in der ein 30 Meter langer Militärtransporter einen Salto macht.
Als absurdester Höhepunkt aber bleibt der raketenbetriebene Weltraumflug eines bemannten Sportwagens (mit den Rappern Tyrese Gibson und Ludacris) in Erinnerung, fraglos eine ironische Anspielung auf Gil Scott-Herons Protestsong „Whitey On the Moon“. Beim Anblick der Erde entfährt es Gibson ungläubig: „Wahnsinn, zwei Typen aus dem Ghetto im Weltall!“
Die Reihe ist ins Stadium der Selbstparodie eingetreten
Wenn eine Action-Filmreihe ins All aufbricht, ist dies ein sicheres Zeichen („James Bond – Moonraker“), dass sie ins Stadium der Selbstparodie eingetreten ist. Das Publikum am Strand deutet darauf hin, dass „Fast & Furious“ inzwischen als Familienkino angesehen wird; Jugendliche posieren vor zwei im Sand geparkten Boliden aus dem Film.
Trotzdem verfügt die Reihe noch über genug popkulturelles Karma, so dass Cardi B in einem Cameo auftaucht, Fan-Liebling Sung Kang von den Toten wiederaufersteht und Hauptdarstellerin Michelle Rodriguez für sich und Kollegin Jordana Brewster mehr Dialoge durchsetzen konnte. Es gibt wahrlich schlimmere Filme, in die man heute die Kinder mitnehmen kann.
Umso verblüffender ist es dann festzustellen, wie sehr sich die „Fast & Furious“-Filme und das Kino von Wes Anderson letztlich ähneln. Weniger ästhetisch natürlich und auch nicht hinsichtlich Andersons kultivierter Ironie. Aber die schiere Opulenz, seine Liebe zu bizarren Details und das Streben nach permanenter visueller Überwältigung machen „The French Dispatch“ und „Fast & Furious 9“ zum perfekten Double Feature.
Gleichzeitig sorgt der Ausstattungsfuror von „The French Dispatch“ auch für eine gravierende Überforderung: Man betrachtet ein Wimmelbild und muss gleichzeitig zweisprachigen Dialogen folgen, während immer wieder Texte in Kleinstschrift am Bildrand aufflackern. Anderson, der zuletzt eine Ausstellung in Wien kuratierte, ist inzwischen vermutlich besser im Museum aufgehoben. Das Kino scheint nicht mehr der passende Ort zu sein, an dem man eine solch stilvoll handverlesene, selbstreferentielle und skrupulös komponierte Informationsflut noch angemessen würdigen kann.
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„The French Dispatch“ ist eine Hommage an den amerikanischen Magazin-Journalismus, am schönsten repräsentiert durch den altehrwürdigen „New Yorker“ mit seinen skurrilen Reportagen. Drei Artikel des fiktiven Magazins „The French Dispatch“, herausgegeben vom legendären Verleger Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray), dienen als Grundlage, die episodische Form kommt Anderson dabei entgegen.
So muss er sich um eine kohärente Geschichte gar nicht erst kümmern: Epilog und Prolog – der Tod der Zeitungsmagnaten – bilden die Klammer. Dass der retrofixierte Anderson sich ausgerechnet dem Journalismus widmet, sollte die Branche vermutlich eher beunruhigen als ihr schmeicheln.
Man verliert die Ehrfurcht
Doch „The French Dispatch“ ist ohnehin der Vergangenheit verhaftet. Eine dominante Gefängnisaufseherin (Léa Seydoux) dient als Muse für einen psychisch kranken, aber genialen Maler (Benicio Del Toro). Ein junger Franzose (Timothée Chalamet) muss sich in den 68er-Wirren zwischen Liebe und Revolution entscheiden und ein Gastrokritiker (Jeffrey Wright) wird in einen Entführungsfall verwickelt. Andersons Staraufgebot ist wieder verschwenderisch, auch Saoirse Ronan, Christoph Waltz und Edward Norton werden durchs Bild gescheucht.
Die Nähe von High und Low Brow ist das Schöne an Cannes, man verliert die Ehrfurcht. „The French Dispatch“ ist kunstvoll wie eines dieser dreidimensionalen Aufklapp-Bilderbücher aus der Kindheit, am Ende aber auch nicht tiefgründiger als ein Action-Blockbuster.