Andreas Mühe am D-Day : Europäische Bunker zum Kuscheln und Spielen
Dass Andreas Mühe angefangen hat, sich mit Bunkern zu beschäftigen, hat einerseits mit Vergnügen zu tun und andererseits mit dunkler, deutscher Geschichte, wie so oft in seiner Kunst.
Mühe liebt das Surfen, wann immer er kann, verbringt er Zeit am Strand, von Dänemark über Frankreich bis Spanien, oft an der Atlantikküste. Es sei unmöglich, die Bunker dort nicht wahrzunehmen, sagt er.
Die Relikte des Atlantikwalls prägen die Landschaft, an die 8000 Bunkeranlagen ließ Hitler während des Zweiten Weltkriegs dort bauen. Eine zweieinhalbtausend Kilometer lange Verteidigungslinie, die die deutschen Besatzer entlang von Atlantik, Ärmelkanal und Nordsee während des Zweiten Weltkrieges errichten ließen. Vornehmlich von Zwangsarbeitern. Sie sollte das Eindringen der Westalliierten verhindern.
Unverwüstliche Baukörper
Mit diesen Bunkern beginnt Mühes lange Recherche zum Thema, die nun in eine neue künstlerische Arbeit im Kunsthaus Dahlem mündet. Es ist sein bislang größtes Projekt, und dieses Mal steht nicht die Fotografie im Zentrum, Mühe betrachtet seine raumfüllende Installation im ehemaligen NS-Künstleratelier als „Bühnenbild“.
Am 6. Juni soll die Ausstellung eröffnen, am 80. Jahrestag des D-Day, an dem die Alliierten in der Normandie landeten und in einer riesigen Aktion, die Bunker des Atlantikwalls überrannten. Keine 24 Stunden hielten sie stand. Für Mühe ist dieser Tag die „Geburtsstunde eines demokratischen Europa“. Die Relikte schwimmen heute noch im Meer.
Aber erstmal kommt dieser Lkw nicht an. Ein tonnenschweres Gefährt, voll beladen mit kleinen Bunkern aus Stoff, wird erwartet. Alle stehen bereit, Mühe selbst, ein Aufbauteam, Dorothea Schöne, die Direktorin des Kunsthauses Dahlem, ein Kamerateam. Sowie: Drei pastellfarben gestrichene DDR-Kinderklettergerüste von Formgestalter Ursula Wünsch, die Mühe hat nachbauen lassen, so wie er sie aus seiner Kindergartenzeit im Ost-Berliner Schöneweide kennt.
Eine tonnenförmige Form, oben geschlossen und mit einem Loch zum Hineinklettern. Sie diente Millionen von DDR-Kindern zum Spielen. Die Form und das harte Material erinnern durchaus an einen dieser Ein-Mann-Bunker, von denen man auch Aufnahmen in Mühes Ausstellung sehen kann.
Referenz an Mühes DDR-Kindheit
Mühe hat die unterschiedlichen Formen der Bunker studiert, nicht nur an der Atlantik-Küste auch in Städten wie Berlin oder Wien, ihre Materialität, den harten Beton, die dunkle Geschichte und die Anziehungskraft, die sie ausstrahlen, ihr zweites Leben als Spielplatz, als Club, als Schuppen.
Für die Ausstellung hat er 6000 Bunker-Miniaturmodelle aus weichem Stoff anfertigen lassen, elf unterschiedlichen Formen – Bananenbunker, Kommandeursbunker, Offiziersbunker – drei verschiedene Grautöne, alle wurden sie von der Kösener Spielzeug-Manufaktur bei Naumburg von Hand genäht. Diese riesige Menge an „Kuschel-Bunkern“ soll in ein Becken im Kunsthaus Dahlem geschüttet werden. Wie im Bällebad im Einkaufsmarkt werden Besucher dann darin herumwaten können. Muss er nur noch kommen, der Lkw.
Mühe wirkt nicht besonders nervös, eher freut er sich auf den Moment, in dem seine Idee Realität wird. Der Künstler betreibt eine Art Alchemie, wie sie ihm auch in seiner aufwändig inszenierten Fotografie oft gelingt, in Serien wie „Obersalzberg“ oder „Deutscher Wald“. In der Fotografie setzt er auf Neuinszenierung bei gleichzeitig höchster Detailgenauigkeit und legt kollektive und verborgene Schichten des Wissens frei. Dinge erzählen sich ohne Text und Skript, meist an den Nahtstellen von Politik und Individuum.
Da er den oft fotografierten Bunkern mit der Kamera nicht beizukommen glaubt, versucht er es mit der größtmöglichen Transformation. Harter Beton wird zu weichem Stoff. Das ist Neuland für Mühe.
Als der Lkw dann an diesem Montag vor Ausstellungseröffnung endlich an die Tore des Kunsthauses Dahlem heranrollt, werden die ersten Kartons sofort hineingetragen und aufgerissen. Mühe kippt die Stoffobjekte auf einen Haufen, stellt einen der hellblauen DDR-Klettertürme hinein, der das Ganze ins Verhältnis rückt. „Das wird gut“, sagt er. Dorothea Schöne, die um die gefährliche Kombination aus Verniedlichung und NS-Geschichte in der monumentalen Architektur des ehemaligen Staatsateliers von Arno Breker weiß, bleibt abwartend.
Warten auf die Lkw-Ladung aus Naumburg
Zerfallen, zerschossen, von Wasser umspült, die funktionslos gewordenen Bunkerruinen erinnern Mühe an „Schildkröten auf dem Rücken“. Zappelnd, aber unbeweglich bleiben sie ewig am Strand liegen. Mühe macht aus diesen Kolossen Miniaturbunker zum Knuddeln und Spielen. Sie sehen in der grauen Masse, die sie jetzt bilden, aber nicht harmlos aus. Eher wie eine bedrohliche Welle, aus Angst, Leid, Größenwahn und zerplatzten Hoffnungen.
Mühe sagt, er blende bei seiner Kunst, die sich über Jahre hinweg entwickelt, die aktuelle Politik aus. Bei weich gewordenen Bunkern denkt man natürlich trotzdem an die aktuellen Kriege, in der Ukraine, in Gaza, an die zwiespältige Frage nach der Wehrhaftigkeit Deutschlands und Europas, an neu gebaute Bunker, an Kinder, die nicht darauf hoffen können, dass ein Bunker sie noch vor Kriegen schützt.
Jagd nach der grauen Form
Im Nebenraum sind die Referenzen Mühes einzusehen, Künstler, die sich vor ihm mit Bunkern befasst haben. Allen voran der französische Philosoph Paul Virilio. Sein Buch „Bunkerarchäologie“ von 1975 ist so etwas wie das Standardwerk zu dem Thema. Er hat die Bunker der französischen Atlantikküste essayistisch beschrieben und fotografiert, die Originalprints sind in der Sammlung des Centre Pompidou, vier Abzüge können durch glückliche Umstände in der Berliner Ausstellung gezeigt werden.
„Ich jagte diese grauen Formen, damit sie mir einen Teil ihres Geheimnisses preisgäben“, schrieb Virilio 1975. Ein Leitspruch, mit dem auch Mühe sich identifiziert. Im Bunker-Projekt jagt er seiner eigenen Biografie hinterher, der Kindheit in der DDR, zunächst in Karl-Marx-Stadt, dann in Berlin, dem Aufwachsen in der Diktatur, dem Deutschen, dem Reisenden, dem Europäer.
Allein der Kontrast zwischen hart und weich hätte diese Installation nicht getragen, Kriegsgerät zu Stofftieren, diese einfache Konterkarierung passt eigentlich nicht zu Mühe. Aber die Fremdkörper im Meer nicht in Form dunkler Fotografien zu mystifizieren, sondern sie anfassbar zu machen, sie loszueisen von ihrem Ort und als Masse in Bewegung zu setzen, das verfängt.
Hier liegen sie nun jedenfalls, die flauschigen Trümmer der „Festung Europa“. Was das bei jedem Einzelnen aufwühlt (oder nicht), hängt wahrscheinlich stark von der Biografie ab, vom Jahrgang, von der Erfahrung mit Krieg. Wenn alles gut läuft, hat Mühe nicht nur für sich ein persönliches Werk geschaffen, sondern auch für viele andere.