Architektur in Siemensstadt: Am Industriedenkmal weiterbauen
Noch 1911 fragte sich der Architekt Hans Poelzig in Bezug auf den Fabrikbau, „ob man bei einem solchen Bau überhaupt von Architektur reden kann oder muss“. Zehn Jahre später war die Sache entschieden, man muss. Berlin hatte im Industriebau international eine führende Rolle übernommen, mit Protagonisten wie Hans Poelzig (Kabelwerke), Peter Behrens (AEG), Eugen Schmohl (Borsig, Ullstein), Otto Rudolph Salvisberg (Geyer Werke) und Hans Heinrich Müller (Bewag). Und natürlich mit Hans Hertlein, der 1912-1951, also stolze vier Jahrzehnte lang der Siemens-Bauabteilung vorstand.
Hertlein entwarf für den Elektrokonzern Bauten in aller Welt. Vor allem aber hat er die Siemensstadt geprägt und in mehreren Jahrzehnten mit seinen Bauten die Entwicklung des Industriebaus vorangetrieben. Anfangs dem Stil der Zeit mit klassizistischen Anklängen (Hauptverwaltung, Dynamowerk) verhaftet, verschrieb er sich in den 1920er Jahren einer radikalen, funktionalistischen Moderne, gipfelnd im Wernerwerk Hochhaus und im Wernerwerk XV mit ihren Arrangements schmuckloser Kuben und serieller, fast monoton zu nennender Befensterung.
In dieser Radikalität markierte er, ähnlich konsequent wie Mies van der Rohe, gleichzeitig das Ende der Versuche, dem Industriebau durch architektonische Gestaltung noch ein letztes Quäntchen Romantik abzugewinnen und den Beginn des nüchternen, lapidaren Industriebaus jenseits dekorativ-gestalterischer Ambitionen, wie er noch heute vorherrscht.
Wenn Hertleins am Siemensdamm und an der Nonnendammallee aufgereihte Großbauten dennoch nicht Ödnis und Kälte ausstrahlen, so liegt das vor allem am Baumaterial, an den Klinkerfassaden und den Sprossenfenstern. Hertleins Einfluss durch diese in allen Fachzeitschriften gefeierten signifikanten Bauten auf die Industriearchitektur der 1920er und 1930er Jahre ist kaum zu überschätzen.
Daraus jedoch erwächst ihre Bedeutung als Kulturdenkmale und die Verpflichtung, das großartige Ensemble Berliner Industriebaukultur zu schützen.
Wenn also in unmittelbarer Nachbarschaft des Wernerwerks XV gebaut werden soll, stehen Bauherr und Architekt in einer gewissen Verpflichtung, ihm Reverenz zu erweisen. Der Bauherr, CCB II TechnoCampus Berlin GmbH, betreibt bereits das Wernerwerk XV als Bürogebäude und hat sich durchaus als „architekturaffin“ gezeigt.
Sergei Tchoban (Tchoban Voss Architekten) ist einer der meistbeschäftigten Architekten in Berlin. Er gehört nicht gerade zu den Vertretern der traditionalistischen Architektur oder des „steinernen Berlins“, aber auch nicht zu den Glasfetischisten. Für ihn heißt Bauen in der Stadt Weiterbauen an der Textur der gewachsenen Stadt, am Bild der Stadt.
Lückenschluss Rosenthaler Straße
Mustergültig hat er das an der Rosenthaler Straße gegenüber den Hackeschen Höfen exerziert, wo er einen gesichtslosen 60er-Jahre-Bau durch ein Gebäude ersetzt hat (Apple Store), das sich mit seinen drei naturstein- und ziegelverkleideten Einzelfassaden in den historischen Straßenzug einfügt. Besonderen Wert legt er auf Materialwirkung und Relieftiefe der Fassaden, die den Häusern Wertigkeit und tektonische Kraft verleihen.
Nicht anders ist er am Siemensdamm vorgegangen, wo es galt, neu und alt zu einem Ensemble zu vereinen. Mit ihren Dimensionen und ihren klaren Kubaturen korrespondieren die beiden Ergänzungsbauten mit dem Bestand. Die beiden Winkel nehmen den zweifach abgewinkelten Hertleinbau in die Mitte und bilden mit ihm zwei offene Gartenhöfe.
Muskulöse Fassaden
Und wie der Hertleinbau zeigen die Neubauten nach allen Seiten ein absolut serielles Taktmaß der geschosshohen Fenster. Doch es gibt auch Unterschiede, mit denen sie sich individuell absetzen. Zum Beispiel durch die Horizontalteilung der Geschosse mit Betongesimsen. Die Pfeiler zwischen den Fenstern werden nach oben in schmaler, leichter, und bringen die Lastverhältnisse zum Ausdruck. Überhaupt wirken die stärker reliefierten Fassaden muskulöser, tektonischer. Für die Fassaden kam nur ein Vollsteinklinker in Betracht, ein heller, lederfarbener allerdings.
Die Erdgeschosse sind öffentlich zugänglich mit Gastronomie und Freiterrassen sowie mit Räumen für Fitness-Aktivitäten. Alle Eingänge sind in den ansonsten gleichförmigen Fassaden durch doppelgeschossige Tore gekennzeichnet. Schwarz pigmentierte Betondecken, patinierte Metallwände und Terrazzoböden sowie drei Meter hohe Aufzugskabinen verleihen der Eingangssituation ein gewisses Niveau. Die Büroflächen werden in Einheiten ab 350 Quadratmetern vermietet. Die Dächer sind begrünt und für die Mieter zugänglich gemacht.
Die hundert Jahre alten Siemensbauten mit ihren Klinkerfassaden sind nach wie vor wunderbar erhalten. Ähnliches ist von den kongenialen Neubauten des Techno Campus zu erwarten, die mit ihnen eine Familie bilden und ebenso solide und dauerhaft errichtet wurden.