Puppenshow im Berliner Ensemble: Wenn Gott mit Karl Marx über Religion diskutiert
In den hinteren Reihen drücken sich Marilyn Monroe und Albert Einstein herum, vorn hängt – mit gütigem Greisengesicht – Karl Marx auftrittsbereit am Haken. Zwar wird der illustre Cast bei weitem nicht vollständig zum Einsatz kommen in den folgenden 90 Minuten. Aber als Staffage für den Resonanzraum, den die Puppenspielerin Suse Wächter in ihrer neuen Produktion am Berliner Ensemble aufzureißen verspricht, macht er sich gut.
„Brechts Gespenster“ heißt die fröhliche Zombie-Show, die sich hier – ursprünglich geplant als sommerliches Theater-Event – nun mit leichter Verspätung auf den vorderen, rampennahen Metern der großen Bühne entfaltet.
Es handelt sich um einen Abend, dem, ganz buchstäblich, die Theatergeschichte im Nacken sitzt: Gespielt wird vorm (verhangenen) Bühnenbild der „Dreigroschenoper“, dem Brecht-Blockbuster schlechthin oder auch dem „Gespenst dieses Theaters“, wie der Mann mit dem Arbeitskittel und der Zigarre im Mundwinkel alsbald zwischen Wächters versierten Puppenspielerinnenfingern hervorräsoniert.
„Gespenster sind das Anwesende, das doch abwesend ist“, spinnt der Miniatur-BB den Geister-Faden weiter und benennt damit das Leitmotiv des Abends. Klar: Dem anwesenden Abwesenden nachzugehen – dem, was unbewältigt, abgedrängt, unverdaut irgendwo hängen geblieben ist in den Dunkelkammern diesseits der Spotlight-Narrative – ist prinzipiell ein erkenntnisstiftendes Unterfangen; zumal beim dialektischen Entertainer Brecht.
Angewandte Dialektik im Easy-Listening-Format
„Sie, liebes Publikum, sollten lernen, in Widersprüchen zu denken“, gemahnt die Brechtpuppe über die Rampe – und weckt Vorfreude auf eine Art Hirnfitness, die gerade im Theater, wo die Dinge zurzeit ja meist eher eindeutig liegen, vielen sehr willkommen sein dürfte.
Aber: So, wie es ist, bleibt es nicht. Das steht in Brechts Gedicht „Lob der Dialektik“, und es trifft – leider, wie man in diesem Fall sagen muss – auch auf Wächters Abend zu. Zwar gibt es ein paar launige Scharmützel zwischen Gott und Karl Marx: zwei rührend alten Sofa-Plauderern, die einander physiognomisch gleichen bis aufs zerzauste Haar. Nein, kontert Gott da etwa aufs Marx-Bonmot von der Religion als „Opium fürs Volk“: diesen Vergleich halte er für gänzlich unpassend. „Eher schon würde ich mich als LSD fürs Volk bezeichnen“. Die Szene endet mit einem innigen Bruderkuss.
Angewandte Dialektik im Easy-Listening-Format gibt’s schließlich, wenn eine kleine Henry-Ford-Puppe das „Lob des Kommunismus“ intoniert und dabei taktweise die Tantiemen vorrechnet, die ganz realkapitalistisch aufs Konto der Brechterben fließen: 24 Cents pro Sekunde. Oder wenn Margaret Thatcher – ein besonders schönes Gespenster-Puppen-Exemplar mit adrettem Häubchen über dem weißknochigen Totenschädel – jenes „Lob des Kommunismus“ gleich ohne nennenswerte Umdichtungsmühen zu einem „Lob des Kapitalismus“ umwidmet.
Generell huschen die Gespenster bei Suse Wächter, die von Hans-Jochen Menzel sowie den Live-Musikern Martin Klingeberg und Matthias Trippner unterstützt wird, eher harmlos-flüchtig an der Oberfläche vorüber als sich irgendwo wirklich gefährlich einzunisten. Die Séance mit dem Hausgeist vom Schiffbauerdamm erinnert an ein Kabarettprogramm mit mehr oder weniger charmanten Nümmerchen.
Der Brecht-Schüler und langjährige BE-Intendant Manfred Wekwerth, der als Präsident der Akademie der Künste in der DDR auch Mitglied des ZK der SED war und hier mit einer roten Socke überm Totenpuppenschädel auftritt, verabreicht eine Mini-Dosis epischer Brecht-Theater-Theorie.
Eine Pavarotti-Puppe schmettert sehr schön Brechts berühmte Kinderhymne. Und zur Lobpreisung „Lenin“ von Hanns Eisler und Johannes R. Becher, die ältere Ostdeutsche in der Ernst-Busch-Interpretation von leidigen Fahnenappellen kennen, erhebt sich der Besungene zwar leicht zerknautscht, aber inhaltlich standesgemäß von der Mausoleumsbahre: „Er rührte an den Schlaf der Welt“.
Gesungen wird auch – und zwar wiederholt – das „Solidaritätslied“. Mit ihm endet Slatan Dudows Film „Kuhle Wampe“, an dem Brecht als Drehbuchautor mitwirkte und an dessen Beginn sich ein Arbeitsloser aus dem Fenster stürzt: Eine Szene, die Suse Wächter mit einem Mitglied einer besonders klein gewachsenen Gliederpuppenformation – den „Proletariern“ – nachspielt.
Die soziale Frage, die „Kuhle Wampe“ behandelt, sei „heute noch so aktuell“ wie damals, behauptet der Abend – und hat damit im Grundsatz natürlich recht. Aber gerade deshalb hätte man’s gern speziell in diesem Themenstrang etwas genauer und differenzierter gehabt.
Ein anderer berühmter Zombie-Beschwörer, Goethes „Zauberlehrling“, muss am Ende konstatieren: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“. Das ist bei „Brechts Gespenstern“ im BE anders. Die ziehen sich recht schnell in ihre Gruften zurück.
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