Gekreuzigt, nicht begraben: Robert Crumb zum 80. Geburtstag

In seinem Tagebuch zeichnete sich Robert Crumb im Sommer 1990 als an die Wand geschlagenen Jesus Christus, zu dessen Füßen eine ekstatische Party steigt. „Hey, ich sterbe hier!“, brüllt der gekreuzigte Zeichner der feiernden Meute entgegen, doch Gehör findet er nicht. Das Selbstporträt ist typisch für den medienscheuen Comiczeichner, der Selbstzweifel war sein ständiger Begleiter.

Der am 30. August 1943 in Philadelphia geborene Comic-Hippie galt lange Zeit als einer der wichtigsten Wegbereiter der neunten Kunst. Inzwischen ist er nicht mehr unumstritten. Seine politisch unkorrekten Geschichten wirken Jahrzehnte nach ihrem Entstehen wie aus der Zeit gefallen. Die jüngere Generation kritisiert seine sexuell aufgeladenen Zeichnungen fleischiger Frauen, die sich verwahrlosten Nerds hingeben, als chauvinistisch, sexistisch und pornografisch. Anderen Geschichten wird Rassismus und Antisemitismus unterstellt – trotz ihrer ironisch-sarkastischen Überzeichnung. Aber mit der Ironie und dem Sarkasmus ist das so eine Sache. Sie liegen im Auge der Betrachtenden. Und die schauen in Zeiten der Identitätspolitik anders auf die Dinge.

Als Widerling beschimpft

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass der Vater der Underground-Comics-Bewegung ausgerechnet bei den Ignatz-Awards, den Preisen der amerikanischen Alternativcomic-Szene, in Abwesenheit als Widerling beschimpft und vom Publikum ausgebuht wurde. In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel nach dem Eklat räumte Crumb ein, dass es schon früh Kritik an seinen Arbeiten gegeben habe. Selbst Freunde wie Art Spiegelman hätten ihm ins Gewissen geredet. „Aber ich konnte nicht ändern, was in mir war. Es musste raus“, erklärte Crumb. „In den späten 60ern, frühen 70ern sind alle möglichen Dinge offener geworden, es war kulturell eine sehr offene Zeit. Ich sah keinen Grund, mein wahres Ich nicht auszudrücken, komme was wolle.“ Man mag das geradlinig oder starrsinnig nennen, mit der Kritik an seinem provokanten Stil muss er leben.

Aber da ist eben auch ein Werk, das Comiczeichner:innen weltweit inspiriert und begeistert hat. Robert Crumb war eine Ikone des Anti-Establishments, experimentierte mit Drogen und freier Liebe. In Zeiten des Konservatismus und der Verklemmung nahm er sich die Freiheit, Grenzen zu überschreiten. Er schuf mit ZAP Comix ein legendäres Comic-Magazin und zeichnete Plattencover für Janis Joplin, Bob Dylan, Chuck Berry oder Frank Zappa. Künstler:innen wie Art Spiegelman, Joost Swarte, Chester Brown, Seth, Winshluss, Julie Doucet oder Alison Bechdel beziehen sich bis heute auf ihn. Terry Zwigoff drehte Anfang der 90er einen viel beachteten Dokumentarfilm über ihn.

Crumbs Interesse gilt der Tragödie des Individuums in einer Welt voller Verlockungen. Kein anderer Zeichner hat die eigenen Neurosen vor sich und der Welt derart entblößt wie Robert Crumb. Die sexuelle Obsession, die sich von „Fritz the Cat“ über „Mein Ärger mit Frauen“ bis hin zur „Genesis“-Adaption durch sein Schaffen zieht, verdeckt dabei nur spärlich die Furcht vor allem, was körperlich ist.

Aline, die bessere Hälfte

Zur Wahrheit gehört auch, dass der Amerikaner ohne seine Frau Aline Kominsky-Crumb wohl nie der einflussreiche Zeichner geworden wäre, als der er heute wahrgenommen wird. Für die Welt war sie eine feministische Comicpionierin ersten Ranges, für Crumb unentbehrliche Muse, erste Kritikerin und Partnerin in Crime.

Unter dem Titel „Drawn Together“ führten sie öffentlich einen gezeichneten Dialog über ihr Paarleben – ironisch-therapeutisch, voller Sex, Drugs und Rock’n Roll. Crumb selbst bezeichnete sie immer als seine stärkere Hälfte, ihr Tod im Herbst 2022 muss ihn hart getroffen haben.

Nun muss er ohne ihre Rückendeckung aushalten, dass sein Werk kritisch unter die Lupe genommen wird. Möge er sich die Unbeschwertheit früherer Tage bewahrt haben, als er sagte: „Ich habe soviel Lob erhalten, weißt du, so viel Lob, da muss man damit rechnen, früher oder später abgesägt zu werden.“