Die heimliche Königin: Zum Tod der Verlegerin Maria Sommer
Sie war eine Frau von Geist und bis zuletzt bewundernswerter Schaffenskraft, voller Herzlichkeit, Humor und dem Charme einer preußischen Dame, die mit ihrem Lächeln auch wusste, dass Scherz und Schmerz Geschwister sind. Wäre die 1922 in Berlin geborene Maria Sommer noch älter gewesen, hätte man in ihr durchaus die schöne Heldin eines Fontane-Romans sehen können.
Nun ist die große Verlegerin Maria Sommer Sonntagnacht in Berlin-Dahlem mit 101 Jahren in ihrem schlossgelben Domizil gestorben: im Dachgeschoss, thronend über den Räumen des von ihr vom Verleger Gustav Kiepenheuer Ende der 1940er Jahre für die versetzte goldene Uhr ihres Vaters erworbenen Gustav-Kiepenheuer-Bühnenvertriebs.
Diese etwas altbacken klingende Firmierung verschweigt Maria Sommers eigenen Namen. Aber das passte zu ihr. Sie war die heimliche Königin, so souverän wie zurückhaltend, nie drängte sie selbst ins Rampenlicht. Dorthin schob sie andere. Jean Anouilh, Giraudoux, Arthur Miller oder Slawomir Mrozek hat sie einst für die deutschen Theater entdeckt. Auch Graham Greene, Peter Ustinov und jüngst Ferdinand von Schirach. Aber der ihr Wichtigste, als Künstler und Mensch Nächste war unter den Theaterautoren George Tabori.
Entdeckung in New York
Im Jahr 1969 überzeugte sie das Berliner Schillertheater, die damals noch Staatlichen Schauspielbühnen, von dem hier noch unbekannten Tabori das Drama „Kannibalen“ aufzuführen. Sie hatte es im Vorjahr in New York entdeckt, ein Wagnis, denn es war das weltweit erste Stück, das in Auschwitz spielte, wo George Taboris Vater umgebracht worden war.
Diese Hommage an den Vater war zugleich eine schwarze Komödie, und der Hunger der KZ-Häftlinge ein makabrer Koch. Michael Degen spielte die Hauptrolle, für Tabori und seinen Koregisseur Martin Fried hatte Maria Sommer sicherheitshalber ein hinter dem Theater wartendes „Fluchttaxi“ bestellt. Doch die im Vorfeld skandalisierte Premiere wurde ein erschütternder Erfolg.
Von Anfang an hatte Maria Sommer viel gewagt. Noch nicht 23-jährig promovierte sie bei Kriegsende über die „Zensur in Berliner Theatern im 19. Jahrhundert“. Das erschien ihr während der NS-Zeit als „einigermaßen unverfänglich“, weil mit historischer Distanz und zudem der Pointe, dass sich Theaterkünstler im einstigen Preußen durch formelle Zensurregelungen geschützter fühlten, als wenn sie der spontanen Willkür einzelner Polizeibeamter ausgeliefert waren. Sommer: „Um meine Promotionsurkunde zu kriegen, bin ich von Schöneberg durch die zerbombte Stadt zur Uni Unter den Linden gerobbt, am 20. April 1945, Hitlers letztem Geburtstag und kaum einen Kilometer entfernt von seinem Bunker.“
Neben Tabori waren ihr auch Christa Wolf und deren Mann Gerhard immer nah. Ebenso von seinen Anfängen an Günter Grass, der sie immer becircen wollte (aber: preußische Dame!) und dem sie in Verbindung mit Volker Schlöndorff zur Oscar-prämierten „Blechtrommel“-Verfilmung verhalf. Als Hundertjährige schränkte sie zuletzt der Verlust ihrer Sehkraft immer mehr ein. Doch blieb sie im Verlag, den nun ihr betrauter Nachfolger Bernd Schmidt fortführt, bis zum Schluss präsent. Wir kannten uns durch George Tabori seit langem.
Als dann ihr letzter Spazierweggefährte, der geliebte Schäferhund Zampano starb, hatte sie sich auf seinem Weg „in den Hundehimmel“ die letzten Tage abends auf dem Teppich neben ihn gelegt. Nun, wenn es einen Menschenhimmel gibt, dann möge Maria auf einer sanften Wolke ruhen.