Leidenschaftliche Liebeserklärung an die Mutter: Etgar Keret und seine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

Über seinen Vater hat er einen Roman geschrieben, „Die sieben guten Jahre“. Bei seiner Mutter, sagt Etgar Keret, verhalte sich das ganz anders. Ihr Leben passe nicht in die Romanform, er habe überhaupt die größten Schwierigkeiten, über sie zu schreiben. Da gebe es unzählige Geschichten zu erzählen.

Und so existiert bis jetzt kein Buch über diese Frau, die als junges Mädchen den Holocaust überlebte und in Israel eine Familie mit drei Kindern gründete. Etgar Keret wurde 1967 geboren. Er zählt zur Linken in Israel. Wer ihm begegnet, merkt sogleich: Er ist ein umwerfender Geschichtenerzähler. Ein Raum, den er betritt, wird zur Bühne. „I talk to much“, das gibt er gern zu. Und redet wildkomisch weiter: „I hate museums. They are like a temple without a god:“

Neun Erzählungen aus einem langen Leben

Museen sind ihm zuwider, er empfindet sie als autoritär und ungemütlich. Was ihn aber doch auch gereizt hat, im Jüdischen Museum eine Ausstellung zu riskieren, „Inside Out“, die um seine Mutter kreist. Schließlich kommt der Schriftsteller und Sohn nicht darum herum, sich der vor drei Jahren Verstorbenen literarisch zu nähern – einer Persönlichkeit, die ihm wahrscheinlich zu nahe steht.

Neun sehr kurze Texte skizzieren ihr Leben. Man kann sie sich beim Rundgang anhören, mit Kerets Stimme in der englischen und hebräischen Version. Die deutsche Übersetzung liest Kerets Freund und Übersetzer Daniel Kehlmann. Man kann die Texte auch aufheben. Am Boden liegen zusammengeknüllte Seiten, die man glattstreicht, liest, in die Tasche steckt oder auch wieder wegwirft – wie ein Schriftsteller sein misslungenes Manuskript.

Ein Schriftsteller, der Museen nicht leiden kann

Hier treffen sich Etgar Kerets Museumsphobie und die Frustration, die jeder Autor kennt. Keret kokettiert mit beidem. Er hat die Kindheitserinnerungen mit Objekten aus der Sammlung des Jüdischen Museums kombiniert; hier ein Märchenbuch mit „Rotkäppchen“ auf Hebräisch, dort ein Rasierer oder eine winzige Box mit Grammophonnadeln, ein Essbesteck. Ins Auge fällt der Kaugummi-Automat: Dort stecken in den Plastikkugeln die misslungenen Mutter-Storys, ein paar kurze Sätze, etwas schnell Hingeschriebenes.

Als Kind, erzählt Etgar Keret, ging er gern in Restaurants. Davon erzählt er in einer dieser neun Geschichten in der Ausstellung, „Ein guter Tag“ ist sie betitelt. Hier sei die Pointe verraten: „Sechsundzwanzig Leute’, meinte meine Mutter beeindruckt, ,sechsundzwanzig hungrige Menschen sitzen an ihren Tischen, und jeder isst nur von seinem eigenen Teller. Sechsundzwanzig Menschen halten Messer in ihren Händen, und trotzdem ersticht keiner den anderen.’ Sie beugte sich zu mir, küsste mich sanft auf die Stirn und sagte: ,Komm, einigen wir uns darauf, dass heute ein guter Tag ist.“

Diese Vignetten stehen in starken Kontrast zum Mitteilungsdrang ihres Verfassers. Keret ist davon überzeugt, dass er mit seinem fantastischen Humor eine eigene Realität erschafft: „Kunst ist klüger als der Mensch.“

Er sei nie in einer Therapie gewesen, dafür habe er nun begonnen, doch noch über seine Mutter zu schreiben. Sie besaß magische Kochkünste und überraschende Kräfte. Einen Jungen, der ihren kleinen Etgar in der Schule tyrannisierte, nahm sie derart in die Mangel, dass der Rabauke fortan lammfromm grüßte.

Etgar Keret behütet das Geheimnis. Da ist kein Foto von ihr, kein Name, keine objektiven Details. Es geht ihm um Empfindung: „Es soll sich so anfühlen, wie jemanden mit geschlossenen Augen zu küssen.“ Und so gibt es in der Ausstellung auch keinen Anfang und kein Ende.

Die Erinnerungen des 55-Jährigen drehen sich um eine Form von Unsterblichkeit. Er gebe, sagt er, die Geschichte seiner Familie nun, wie er es selbst erfahren hat, an seine Kinder weiter, in der jüdischen Tradition, lieber ohne Namen, ohne Daten, „ein bisschen wie ein Märchen“.

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