Gabriele Münter im Bucerius Kunst Forum: Nicht Muse, nicht Schülerin, sondern große Künstlerin

Nur wer wahrgenommen wird, existiert. Im Gegensatz zu männlichen Kollegen wurden Künstlerinnen bis in die 1990er Jahre in Kunstmedien und Kunstgeschichte eher vernachlässigt bis ignoriert. Mit drei Retrospektiven beschert das Hamburger Bucerius Kunst Forum in diesem Jahr weiblichen Künstlern ausdrücklich mehr Aufmerksamkeit.

Den Auftakt macht ab 11. Februar die Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“. Die vom Bucerius Forum, der Münter-Stiftung und dem Münchner Lenbachhaus gemeinsam erarbeitete Schau widmet sich erstmals den 250 Porträts in Münters Werk.

Aus der Zeit von 1899/1900 bis 1940 werden rund 100 Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Fotografien und Hinterglasmalereien gezeigt. Sie kommen aus der Murnauer Stiftung, dem Lenbachhaus sowie dem Milwaukee Art Museum, der National Gallery of Ireland, dem Museum Ludwig Köln, dem Israel Museum und Privatbesitz.

Eigentlich ist Gabriele Münter (1877-1962) längst nicht mehr unbekannt. In letzter Zeit haben ihre Arbeiten sogar einen enormen Preisschub erfahren. Ihr Stillleben „Madonna“ beispielsweise erzielte im Juni 2021 auf einer Auktion bei Ketterer 1.125.000 Euro.

„Schlafendes Mädchen (braun, blau)„ von Gabriele Münter aus dem Jahr 1934.
„Schlafendes Mädchen
(braun, blau)„ von Gabriele Münter aus dem Jahr 1934.
© Gabriele Münter- und
Johannes Eichner-Stiftung, München
© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Doch viele Jahrzehnte hatte Münters Liaison mit Wassily Kandinsky ihre künstlerische Sichtbarkeit und Rezeption eingeschränkt. Kathrin Baumstark, Kuratorin der Ausstellung am Alten Wall, lässt deshalb den kreativen Einfluss des berühmten Lebensabschnittspartners außen vor. Die Forumsleiterin glaubt, die Kenntnis von Münters Biografie habe weniger zum Verständnis ihrer Kunst beigetragen, sondern diese überschattet.

Die aktuelle Schau soll helfen, „Gabriele Münter ihren rechtmäßigen Platz in der Kunstgeschichte zu geben: nicht als Frau, Muse oder Schülerin von Kandinsky, nicht als die Bewahrerin, Mäzenin oder Förderin des Blauen Reiters – sondern als die bedeutende Künstlerin des 20. Jahrhunderts, die sie war.“

Kunstfreunde verbinden Gabriele Münter vor allem mit menschenleeren Landschaftsbildern aus Murnau, Bauernhäusern und Blumen. Dabei porträtierte die gebürtige Berlinerin schon als Kind gern Menschen mit dem Bleistift und fotografierte sie früh auf einer US-Reise. Bei ihrem künstlerischen Debüt 1907 im Pariser „Salon d’Automne“ stellte die Künstlerin vorwiegend Porträts aus. „Bildnismalen“ galt ihr als „die kühnste und schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für den Künstler“.

Münters farbgewaltigste, expressivste Bilder entstanden in ihrer Zeit als Gründungsmitglied des „Blauen Reiters“. 1909 malte sie das schwungvolle Konterfei ihrer russischen Kollegin Marianne von Werefkin, der Gefährtin von Alexej Jawlensky, als selbstbewusster Schönen mit ausladendem Blumenhut. Zur Ikone als „Mann im Sessel“ wurde 1913 auch Paul Klee, der wenige Häuser neben ihr und Kandinsky in der Münchner Ainmillerstraße wohnte.

Im Exil in Skandinavien schlug sich Münter mit Auftragsporträts durch. Nach ihrer Rückkehr 1920 malte sie weiterhin Menschen, besonders gern Kinder. Das in Hamburg gezeigte „Schlafende Mädchen“ von 1934 hat sie ohne anrührendes Beiwerk kühl und distanziert abgebildet, dabei Fläche, Farbfelder und Linien elegant verknüpft, Arme, Hände und Kopf im Stil von Hinterglasmalerei schwarz umrandet. Nicht minder ausdrucksstark gerieten der talentierten Zeichnerin in ihren Skizzenbüchern minimalistische Blicke auf die moderne „Neue Frau“.

Der Ausstellungs-Parcours, der Münters Menschenbilder jeweils mit frühen Fotografien in die sechs Kapitel „Selbstbildnisse“, „Porträts“, „Kinder“, „Gruppen“, „Figuren“ und „Zeichnungen“ einleitet, lässt ihre künstlerische und visuelle Entwicklung sukzessiv verfolgen. Ihr Umgang mit Farbe, Flächen, Linien und Abstraktion mündete in eine vielseitige Bildsprache, die an die Fauves, an Henri Matisse, aber auch an Otto Dix und Félix Vallotton erinnert. Nicht zuletzt ihre nimmermüde Experimentierfreude formte Gabriele Münter zur originellen, eigenständigen Künstlerin, die von Anfang an alle Sichtbarkeit verdient gehabt hätte.

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