Stilist mit vielen Stilen: Zum Tod des Komponisten Péter Eötvös

Noch im vergangenen Dezember, kurz vor seinem 80. Geburtstag, fügte er der langen Liste seiner Opern einen letzten, mit knapp zwei Stunden Spielzeit gar nicht so knapp bemessenen Einakter hinzu. Mit „Valuska“ zog Péter Eötvös noch einmal alle Register seiner klanggestischen Kunst, und dass schon die hier auf eine zentrale Figur zusammengeschnurrte Vorlage, László Krasznahorkais apokalyptischer Roman „Die Melancholie des Widerstands“, groteske Züge trug, kam den perkussiven Meteoren und expressionistisch anmutenden Zacken seiner oft auch humoristisch aufgelegten Musik sehr entgegen.

Bei der Uraufführung der ungarischen Staatsoper in Budapest war das ein Triumph. In Regensburg, wo „Valuska“ derzeit nachgespielt wird, gelang es mit etwas weniger Fortune und zeigte doch, welche Kraft von musikdramatischem Erzählen auch im 21. Jahrhundert ausgehen kann. Zum Weltstar war er spätestens 1998 mit der Uraufführung seiner Tschechow-Oper „Drei Schwestern“ in Lyon avanciert, dirigiert von Kent Nagano.

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Péter Eötvös wäre noch für vieles zu haben gewesen, wenn seiner vitalen Unermüdlichkeit nicht am Sonntag ein Gehirntumor den Garaus gemacht hätte. So bleibt das für Xavier de Maistre geschriebene halbstündige Harfenkonzert, das im Januar in Paris uraufgeführt wurde, sein Vermächtnis: unbescheiden im Ausspielen virtuoser Momente und dem volltönenden Aktionismus des Orchesters, aber auch zauberisch leicht in den verhalteneren Passagen.

Es ist nicht leicht, sein Werk, das mangels handlicher Bezeichnungen gerne mit dem Etikett des Polystilismus versehen wird, zu charakterisieren. In den Weiten des Katalogs sind tatsächlich zu viele Ansätze verborgen, als dass sie sich auf einen Nenner bringen ließen. Er verachtete auch sektiererische Schulbildungen im Allgemeinen. Ähnlich wie die Musik des gerade verstorbenen Aribert Reimann besaß auch diejenige von Eötvös über alle strukturgebenden Konzepte hinaus stets eine sinnliche Qualität, der man aus dem Moment heraus folgen konnte.

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Wie sein 20 Jahre älterer Freund György Ligeti und dessen Generationskollege György Kurtág kam Eötvös aus jenem mitteleuropäischen Genienest namens Siebenbürgen, in dem sich bis zum Anbruch des kommunistischen Reichs ungarische, rumänische und deutsche Einflüsse gegenseitig befruchteten. Wenn dort auch jeder Bewohner in seine Provinz eingeschlossen war, so nährte dies neben dem Willen – und manchmal auch der Not – zum Ausbrechen eine kulturelle Verankerung, die alle drei auf ihrem Weg in die weite Welt mitnahmen.

In Béla Bartóks Nachfolge

Eötvös, am 2. Januar 1944 im Szeklerland geboren und in Miskolc aufgewachsen, war, neben seiner Bewunderung für den Jazz von Miles Davis und die westliche Avantgarde, mit der Musik des in die USA ausgewanderten Béla Bartók groß geworden. Mit seinem ersten Kompositionslehrer Zoltán Kodály wuchs der 14-Jährige in die besten Traditionen eines folkloristischen Musizierens hinein, um sie gleich wieder mit zeitgenössischen Mitteln zu öffnen. Noch 1994 war es für ihn selbstverständlich, in seinem Orchesterkonzert „Psychokosmos“ als Soloinstrument das ungarische Hackbrett Cimbalom einzusetzen.

In Köln begegnete er Karlheinz Stockhausen, in dessen Ensemble er Pianist wurde. Mit Anfang 20 wurde sein großer Förderer in Paris Pierre Boulez, für den er die Leitung des Ensemble intercontemporain übernahm. Das Dirigieren war für ihn von früh an eine Herzensangelegenheit. In einem Brief an seine Mutter, eine Pianistin, schrieb er 1967 aus Köln: „Das Orchester ist ein riesiger hilfloser schlammiger Ball, aus dem ich erst alles bis aufs kleinste Detail herausschnitzen muss, es tut nichts aus sich heraus. Seine Wesensart ist Widerstand. Doch wenn es gelingt, seine Seele zu berühren und ihm Leben einzuhauchen, hüpft es in die Luft und beginnt mit mir zu schweben. Für mich ist das ein göttliches Gefühl.“

Nach und nach siegte der eigene Kompositionsdrang über den bloßen Gestaltungswillen – zumal Professuren in Karlsruhe und Köln zwei Jahrzehnte lang, bis 2001, seine Energien banden. Doch über alle akademischen Pflichten hinaus blieb ihm der Kontakt zum Nachwuchs wichtig. 2004 gründete er seine 1991 ins Leben gerufene Stiftung für zeitgenössische Musik (eotvosmusicfoundation.org) in Budapest von Neuem. Mit einem umfangreichen Stipendien- und Mentorenprogramm gibt sie in Kooperation mit internationalen Partnern wie dem Goethe-Institut seine Erfahrungen weiter.

Die Frau an seiner Seite

Nicht nur für das Libretto von „Valuska“, seine erste Oper in ungarischer Sprache, ist seine Frau Miri Mezei mitverantwortlich. Sie half schon, die „Trilogie“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse für die Bühne zu adaptieren. „Sleepless“ hieß das Auftragswerk der Berliner Staatsoper, das er 2021 noch selbst dirigierte. Vor allem aber war sie diejenige, die ihm auch sonst mit Rat und Tat zur Seite stand. Von den großen Ungarn der Nachkriegszeit ist jetzt nur noch György Kurtág am Leben.