Buch über Franz Ehrlich: Bauhäusler, KZ-Häftling, DDR-Designer
Sein heute bekanntestes Werk ist das schmiedeeiserne Tor des Konzentrationslagers Buchenwald mit dem Schriftzug „Jedem das Seine“. Ein höhnischer Spruch in leuchtend roten, grafisch modernen Buchstaben. Das Lagertor stammt von Franz Ehrlich, der am Bauhaus studiert hatte und als Häftling nach Buchenwald kam. Seit seine Entstehungsgeschichte vor einigen Jahren publik wurde, gilt die Verwendung der am Bauhaus orientierten Typografie als Akt des Widerstands.
Eine Überhöhung, die von Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer in Zweifel gezogen wird. Schließlich, schreiben sie, habe die Moderne im Nationalsozialismus subkutan weitergelebt, in der Industriearchitektur genauso wie in der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen.
Wahrscheinlich habe der Schriftzug den Verantwortlichen von der SS einfach gefallen. Anschließend durfte Ehrlich auch noch das Tor des KZs Sachsenhausen entwerfen, bei dem er für den Satz „Arbeit macht frei“ allerdings eine weniger elegante Schriftart wählte.
Es ist ein widersprüchliches und höchst erstaunliches Leben, von dem der Designforscher und Architekt von Borries und der Historiker Fischer in ihrem Buch „Gefangen in der Titotalitätsmaschine“ erzählen. Ehrlich, 1907 geboren und in einem Leipziger Arbeiterviertel aufgewachsen, lief 1927 zu Fuß nach Dessau, um sich bei Walter Gropius für das Bauhaus zu bewerben.
Da hatte er eine Lehre als Maschinenschlosser hinter sich und in seinem Kopf die Idee, „etwas zu tun oder zu werden, das ich auch heute nicht beschreiben kann“, wie er sich viel später erinnerte. Er bekam eine „Freistelle“, musste also keine Studiengebühren bezahlen, und blieb drei Jahre am Bauhaus.
Franz Ehrlich teilte den Enthusiasmus, mit dem am Bauhaus eine radikal neue, alle Aspekte des Lebens durchdringende Kunst erschaffen werden sollte, auch wenn er fand, dass die gerade gebauten Meisterhäuser nicht zu den sozialistischen Idealen passten. Er landet in der Plastischen Werkstatt, baut kinetische Objekte und beschäftigt sich mit Werbung und Messebau.
Für Gropius, der sich fürs Totaltheater begeistert, bastelt er mit einem Kommilitonen aus Materialresten ein skulpturales „Ta-Ti-To-Tal-Theater“ als Weihnachtsgeschenk, mit Warnhinweisen wie „Vorsicht Kurve! Festhalten!“.
So warnen auch von Borries und Fischer vor dem Totalitätsanspruch einer Moderne, die einen „neuen Mensch“ erschaffen wollte und in gefährliche Nähe zu totaler politischer Macht geriet. Die Bauhausdirektoren Gropius und Mies van der Rohe dienten sich nach 1933 dem Nationalsozialismus an, Hannes Meyer begeisterte sich für Stalin. Ehrlich, ein Pragmatiker mit vielen Talenten, verließ das Bauhaus wahrscheinlich ohne Diplom, auch wenn er das Gegenteil behauptete. Ein Hang zur Hochstapelei gehörte, so die Autoren, zu seinen Hauptcharakterzügen.
Mit zwei anderen Bauhäuslern gründet Ehrlich 1930 in Berlin das auf Werbung spezialisierte studio Z, arbeitet für den konstruktivistischen Bildhauer Naum Gabo und beteiligt sich an der Ausführung der Großgarage an der Kantstraße. Weil das alles kommerziell wenig erfolgreich ist, zieht er nach Leipzig und wird dort eine Art Artdirektor in einem Verlag, der die modernistische Zeitschrift „die neue linie“ herausbringt.
Gleichzeitig schließt Ehrlich sich mit seinem Bruder Willi dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten produziert er die Zeitung „Die junge Garde“, die zum Widerstand aufruft. Die Gruppe fliegt auf, er wird verhaftet und 1935 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Als er die Strafe abgesessen hat, nimmt man ihn 1937 in „Schutzhaft“ und überführt ihn ins gerade eröffnete KZ Buchenwald, Häftlingsnummer 2318.
Der Alltag der Häftlinge beginnt mit dem Zählappell um 5.30 Uhr, Ehrlich arbeitet 12 bis 14 Stunden täglich im Steinbruch, angetrieben von Schlägen und Tritten der SS-Wachleute. Seine Ausbildung als Schlosser und Tischler rettet ihn, er gelangt ins „Werkstättenaufbaukommando“. Für den Lagerkommandanten Karl Otto Koch wird eine Villa errichtet, innerhalb von gut einem Jahr entsteht eine, so die Autoren, „nationalsozialistische Idealstadt“, zu der zwei Siedlungen gehören, in der die SS-Führer mit ihren Familien unmittelbar neben den hinter Stacheldraht eingesperrten Häftlingen leben.
Ehrlichs Arbeit wird von der SS geschätzt, er macht gewissermaßen Karriere und wird 1939 sogar aus dem KZ entlassen, bleibt aber im Baubüro, nun als Angestellter. Mit der Willkür der SS muss er weiter rechnen. Er selbst sprach später von „Zivilhaft“, behauptete, weiterhin am kommunistischen Lagerwiderstand beteiligt gewesen zu sein.
Auch in Buchenwald war ein Großteil der Möbel, Lampen, Vasen, die Ehrlich entwarf, im Kern modern. Für den SS-Falkenhof auf dem Gelände, in dem Falken, Adler, Habichte und andere Vögel in eigenen Blockhäusern untergebracht wurden, lieferte er minimalistische Holzlattenstühle und -tische, die an Werke von Gerrit Rietveld und Marcel Breuer erinnern. Ein Stilbruch, den von Borries und Fischer treffend als „Altgermanische Moderne“ bezeichnen.
Im Zentrum des Verbrechens
Ehrlich sieht sich in einer „TiToTalitätsbaumaschine“ gefangen (die er 1939 zeichnet), wechselt aber sogar 1941 in die Zentrale des SS-Bauwesens nach Berlin, wo er etwa mit der Innenarchitektur eines SS-Mustergutes beschäftigt ist. Sein Salär beträgt mit 390 Reichsmark etwa doppelt so viel wie das monatliche Durchschnittsgehalt.
Biedert er sich an, will er sich und seine Frau schützen? Der Pakt mit seinen einstigen Peinigern ist das undurchsichtigste Kapitel in seinem Leben, die Autoren attestieren ihm einen „schwer verständlichen Rollenwechsel“ und eine „klare Grenzüberschreitung“.
Von Borries und Fischer haben ihre biografische Annäherung pointiert formuliert, lesenswert ist sie auch deshalb, weil in ihr auch eine kleine Architektur- und Kunstgeschichte der DDR steckt. Ehrlich, der das Strafbataillon 999 und die jugoslawische Kriegsgefangenschaft überlebt hatte, trat 1946 in die SED ein und hielt sich selbstbewusst für „geeignet als Stadtbaurat“ einer Metropole wie Leipzig oder Dresden.
Neoklassizisten versus Modernisten
Aber er geriet aber mitten hinein in den „Formalismusstreit“ zwischen traditionalistischen und modernistischen Architekten. Nach dem Vorbild der Sowjetunion wurde ein an nationale Traditionen anknüpfender Neoklassizismus, wie er sich im Zuckerbäckerstil der Ost-Berliner Stalinallee zeigt, in den Rang eines ästhetischen Dogmas erhoben.
Verlierer des ideologischen Machtkampfes wurden Bauhäusler wie Ehrlich, die den Ideen der Moderne nicht abschwören wollten. Er hatte es zwar zum pompösen Titel eines Technischen Direktors der neu gegründeten volkseigenen Industrieentwurf-Betriebe gebracht und Pläne für den Bau von Eisenhüttenstadt vorgelegt, doch verwirklicht wurde von all seinen Projekten nur ein einziges.
Fotos zeigen, wie Ehrlich 1956 Staats- und Parteichef Walter Ulbricht und Ministerpräsident Wilhelm Pieck bei der Einweihung durch das von ihm entworfene Rundfunkhaus an der Ost-Berliner Nalepastraße führt, das bis heute für seine Akustik gerühmt wird. Aber die DDR-Zeitungen stuften ihn in ihrer Berichterstattung zum „Oberbauleiter“ herab und warfen ihm später im anderen Zusammenhang vor, den „Bourgeois von gestern“ zu bedienen.
Ein letzter Triumph gelang Ehrlich mit der Typenmöbelserie 602, die er für die nördlich von Dresden gelegenen Deutschen Werkstätten Hellerau entwickelte. Die Schränke, Tische und Stühle bauten auf einem Raster von 50 mal 50 Zentimetern auf und wurden zwischen 1957 bis 1967 in großer Stückzahl produziert.
Mit ihrer „Komplettierungsfähigkeit“ nach dem Baukastenprinzip und der industriellen Fertigung knüpften die „Möbel aus der Taktstraße“ nicht nur an Bauhaus-Ideen an, sondern – so von Borries und Fischer – auch an die Möbel, die Ehrlich in Buchenwald für die SS entworfen hatte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die DDR-Serienmöbel, mit denen der Designer „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ decken wollte, heute als „Mid-Century-Klassiker“ für vierstellige Summen verkauft werden.
Franz Ehrlich, der zuletzt in Dresden lebte und 1984 starb, war Widerstandskämpfer und Kollaborateur, Avantgardist und Kompromissler, Kampagnenopfer und unter dem Decknamen „Neumann“ zeitweilig auch Stasi-Spitzel. Seine komplexe Biografie demonstriert exemplarisch, dass man mitunter ein Anpassungskünstler sein muss, um in totalitären Systemen zu überleben.