Festtagsklassiker: Alle Jahre wieder: Das Weihnachtsoratorium

Wie habe ich die Pauke geliebt, damals als jüngstes Chormitglied ganz vorne im Sopran, oft direkt beim Schlagzeuger. Ich war kaum größer als sein Instrument. Vier mal das D mit voller Wucht, dann die Quart runter zum A, und auf der Stelle brach dieser tumultartige Jubel los. Jauchzet, frohlocket: Da trommelte einer und schon herrschte Aufruhr, die blanke Ekstase.

Bestimmt lieben das auch all die anderen, die jetzt wieder eins der 30, 40 hiesigen Konzerte mit Bachs Weihnachtsoratorium aufsuchen, im Berliner Dom, in der Marienkirche, mit der Bach-Akademie oder der Gethsemane-Kantorei, als halbszenische Fassung für Kinder oder in Ausschnitten zum Mitsingen im Gottesdienst.   

Nie ist das Immergleiche so wertvoll wie am Jahresende. Unsere Serie stellt bis Silvester einige Berliner Festtagsrituale vor. Heute mit Klassik-Enthusiastin Christiane Peitz.

Ich weiß nicht, wie oft ich Bachs Weihnachtsoratorium als Kind gesungen habe, jeden Advent bestimmt zwei, drei, vier Mal. Wenn auch nicht immer alle sechs Kantaten, aber die erste natürlich, die schon wegen der erschütternd intimen „Schlafe, mein Liebster“-Alt-Arie nicht fehlen dufte. Und meist auch die sechste Kantate, mit dem Schmetter-Chor „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“ und dem zärtlichsten Choral aller Zeiten, „Ich steh an deiner Krippen hier“. Wenn wir ihn nicht pianissimo genug sangen, wurde unser Chorleiter selber zum schnaubenden Feind, er neigte zum Jähzorn.

Noch heute kann ich den Sopran praktisch auswendig. Auch die Arien-Verse summe ich mit, wenn ich beim Zimtsterne-Backen das komplette Zweieinhalb-Stunden-Oratorium höre. Das Rezept verlangt zehn Eier und ein Kilo Mandeln, das letzte Blech kommt oft erst nach dem Schlusschoral in den Ofen. Was haben wir früher gefeixt wegen des komischen Texts. „Nun seid ihr wohl gerochen“: Hat etwa Bach auch Plätzchen gebacken?

Der Chorleiter – er war nicht immer cholerisch – erklärte uns, die Pauken-Quart zum Auftakt sei die erste Passage in der klassischen Musik des Abendlandes, in der das Schlagzeug als Melodieinstrument verwendet wurde. Was er nicht verriet: Dass Bach die Jubeltöne schon vorher komponiert hatte, zum 34. Geburtstag der sächsischen Kurfürstin Maria Josepha, mit anderem Text.

Er strich das „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“ später einfach durch und ersetzte es mit „Jauchzet, frohlocket!“ . Profan, sakral, egal, das Parodieverfahren war üblich in der Barockzeit. Vielleicht liebe ich die ersten Takte deshalb noch heute: Weil darin der Himmel der Erde so nah ist.    

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