Stargeigerin Anne-Sophie Mutter: „Da geht die Post ab!“

Sie ist die berühmteste Violinvirtuosin der Welt. Seit 46 Jahren tritt Anne-Sophie Mutter in den bedeutendsten Konzertsälen auf. Aber sie interessiert sich ebenso auch für die kleinen musikalischen Formen, wie sie im Interview mit dem Tagesspiegel erzählt.

Frau Mutter, die Welt kennt Sie als strahlende Solistin, die in extravaganten Roben im Rampenlicht steht, während ein Orchester im Hintergrund begleitet. Dabei haben Sie auch schon immer Kammermusik gemacht.
Da ich ja als Solistin begonnen habe, mit Aufführungen der großen Violinkonzerte, ist die Wahrnehmung nicht falsch. Aber besonders bei uns Streichern gibt es ein Kammermusikrepertoire, das fast noch spannender ist als die Solo-Werke – weil man hier Lebensverläufe von Komponisten kennenlernen kann. Beethovens Sonaten für Klavier und Geige entstanden zwischen 1797 bis 1812, sein einziges Violinkonzert liegt zeitlich ungefähr in der Mitte. Die Querbezüge und die Entstehung einer musikalischen Idee lassen sich ohne die Kenntnis der Sonaten also überhaupt nicht nachvollziehen. Ich wäre als Interpretin quasi einbeinig unterwegs, würde ich die Sonaten von Opus 12 bis Opus 96 nicht kennen. 

Wie hat sich Ihre Bezeigung zu der „kleinen Form“ im Laufe der Jahrzehnte entwickelt?
Im Duo mit Klavier habe ich von Anfang an musiziert, 1976 konnte ich in Luzern bei den Festspielen meinen ersten Sonaten-Abend geben. Daraufhin lud mich dann ja Herbert von Karajan nach Berlin ein zum Vorspiel. Neben meiner solistischen Tätigkeit habe ich stets auch Recitals gegeben. Anfang der Achtzigerjahre, als ich also gerade erst zwanzig war, kam mit Mstislaw Rostropowitsch und Bruno Gioranna das Streichtrio dazu, später auch das Klaviertrio. Und in den letzten 25 Jahren bin ich durch meine Mentorentätigkeit in meiner Stiftung immer öfter auch mit größeren Streichergruppen wie „Mutters Virtuosi“ aufgetreten. Aber ich hatte stets den Plan, im letzten Abschnitt meiner Karriere – also jetzt – verstärkt das Quartettrepertoire ins Auge fassen möchte.

Es kann beim gemeinsamen Musizieren nie darum gehen, dass nur einer bestimmt.

Anne-Sophie Mutter

Gilt das Streichquartett Ihrer Meinung nach zurecht als Königsdisziplin der Kammermusik?
Ja, denn es ist die Form von Musik, die am leidenschaftlichsten und am persönlichsten ist. Hinzu kommt, dass viele große Komponisten sich gerade zum Ende ihres Lebens dieser sehr puren, alles offen darlegenden Form gewidmet haben. 

Gemeinsam eine Interpretation zu erarbeiten, ist ein hehres Ziel. Aber letztlich muss dann doch eine oder einer entscheiden, wo es langgeht, falls es unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Passagen gibt. Übernehmen Sie das in dem Quartett, das Sie mit den aktuellen Stipendiaten Ihrer Stiftung, Ye-Eun Choi und Pablo Ferrandez, sowie dem ehemaligen Stipendiaten Vladimir Babeshko bilden?
Es kann beim gemeinsamen Musizieren nie darum gehen, dass nur einer bestimmt und die anderen nicken stumm. Immer muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, jeder musikalische Diskurs gestaltet sich neu, auch nach dem Umfeld, in dem er gerade stattfindet. Im Quartett ist aber das spontane Musizieren und Dialogisieren auf einer ganz anderen Ebene möglich als mit einem groß besetzten Sinfonieorchester. Die Bandbreite der dynamischen Möglichkeiten vom extrem Leisen bis zum Eruptiven ist unglaublich aufregend. Im Quartett geht die Post ab!

Anne-Sophie Mutter und John Williams
Anne-Sophie Mutter und John Williams
© Foto: HIlary Scott

Ist ein Beethoven-Quartett eigentlich schwerer zu interpretieren als zeitgenössische Musik, beispielsweise von Jörg Widmann, die Sie am 18. Oktober in der Berliner Philharmonie aufführen?
Leicht ist weder das eine noch das andere! Nur weil wir Beethovens G-Dur Quartett Opus 18 länger kennen, ist es darum nicht einfacher zu erfassen als ein Werk von heute. 2020 haben wir Widmanns Werk in Tokio uraufgeführt. In der ersten Anmutung mag es sperrig wirken, aber es hat auch wunderbar lyrische Momente. Die komplexe Architektur der Partitur jedoch lässt sich nicht beim ersten Durchspielen oder gar beim ersten Anhören voll erfassen. Darum wird es in Berlin vorweg eine Werkeinführung für das Publikum geben, inklusive einiger Klangbeispiele. Musik ist zwar in sich eine geschlossene Kunstform, die man nicht bis ins Letzte entschlüsseln kann, aber Erklärungen eröffnen den Zuhörern die Chance, etwas mehr zu erfassen.

Könnten Sie sich vorstellen, dauerhaft in einem Quartett zu spielen? Das soll ja wie eine Ehe zu viert sein.
Für mich kommt das nicht in Frage, weil ich auch weiterhin vielseitig aufgestellt bleiben möchte, vom Solistischen bis zu verschiedensten Kammermusik-Formationen. Ich werde mit meinen Quartett-Partnern und -Partnerinnen also eher eine Ehe auf Zeit führen.

Eine ganz moderne Herangehensweise…
Fürs Quartett durchaus möglich, sonst eher weniger!

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