„I Saw the TV Glow“ im Kino: Der Horror der Identitätsfindung
In den 2000er Jahren entwickelte sich das amerikanische Kino zunehmend in einen Aggregator für eine Nostalgie, die inzwischen so leicht und jederzeit abrufbar ist wie die Lieblingsserie aus der eigenen Jugend auf einem der großen Streamingportale.
Nostalgie ist in der Unterhaltungsindustrie längst zur Ware geworden, gerade Hollywood bedient mit seinen ewigen Reboots – von „Ghostbusters“ bis gerade erst „Beverly Hills Cop“ – die Sehnsucht nach Vertrautem. Dass diese Nostalgie ein äußerst unzuverlässiges Gefühl ist, dass sich Erinnerungen an konkrete Kindheitserlebnisse oft als trügerisch erweisen, passt nicht in die heutige Warenförmigkeit der Kinoerfahrung.
Die Mystery-Jugendserie „The Pink Opaque“, angelehnt an den queeren Klassiker „Buffy – Im Bann der Dämonen“, übt auf Owen (als Siebtklässler gespielt von Ian Foreman, später von Justice Smith) eine diffuse Anziehungskraft aus, die für den schüchternen Jungen eine völlig neue Erfahrung bedeutet. Seine heimliche Vertraute ist die zwei Jahre ältere Maddy (Brigette Lundy-Paine), wie er eine Außenseiterin, die ihm Videokassetten mit ihren Lieblingsfolgen zusteckt, weil seine Mutter (Danielle Deadwyler) ihm nicht erlaubt, am Wochenende so spät aufzubleiben.
Fernsehserie als Nostalgiestifter
Die Serie ist das einzige, das Owen und Maddy gemeinsam haben. Aber ihre Verbindung erweist sich – ähnlich wie für die beiden fiktiven Heldinnen (gespielt von Helena Howard und Lindsey Jordan), die lediglich telepathisch miteinander in Kontakt stehen – als unauflöslich. Selbst als das Mädchen spurlos verschwindet und Owen zu einem verschlossenen Jugendlichen heranwächst.
Die amerikanische Indie-Regisseur:in Jane Schoenbrun hat mit dem Coming-of-Age-Film „I Saw the TV Glow“ bereits zum zweiten Mal faszinierend uneindeutige Bilder für den Zustand des Heranwachsens und den Einfluss der Medienerfahrung auf die fragile jugendliche Identitätsfindung gefunden.
Im Low-Budget-Debüt „We’re All Going to the World’s Fair” wird ein junges Mädchen von einer geheimnisvollen Internet-Website absorbiert, die es mit einem Fluch belegt. Für den fantastischen (und nicht minder fantasmagorischen) „I Saw the TV Glow“ – dessen Handlung Mitte der 1990er Jahre beginnt – hat Schoenbrun in Emma Stone nun eine einflussreiche Produzentin gefunden.
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Es verrät einiges über die Adoleszenz im Internet-Zeitalter, dass Coming-of-Age und Horror in den vergangenen Jahren zu seelenverwandten Genres geworden sind. Die Einflüsse reichen vom Queer Cinema eines Gregg Araki über die Filme von David Robert Mitchell („It Follows“, „Under the Silver Lake“).
Verlust von vertrauten Erinnerungen
Doch Schoenbrun entwirft eine ganz eigene Realität, die in albtraumhaften Kindheitserinnerungen und dem nie greifbaren Gefühl einer rettenden Realitätsflucht verwurzelt zu sein scheint. Die nichtbinäre Regisseur:in findet hinreißend spezifische und gleichzeitig offene Bilder für die transitorischen Zustände der Hauptfiguren, die ein Unbehagen mit ihren materiellen Körpern verbindet.
Wieder und wieder kreuzen sich im Laufe der Jahrzehnte die Wege von Owen und Maddy, deren Leben langsam mit der Realität der Fernsehserie verschmilzt. Sie versucht auch Owen davon zu überzeugen, dass die Welt ihrer Lieblingsserie eine sichere Zuflucht darstellt, während sich die Ästhetiken „The Pink Opaque“ (VHS-Schlieren, Bildrauschen) und „I Saw the TV Glow“ immer stärker gegenseitig durchdringen.
Eine Fernsehserie aus der Vor-Netflix-Ära – später scrollt Owen durch die Folgen, aber die Geschichten wirken auf ihn schlecht gealtert – ist eine einleuchtende Metapher für einen Identitätsthorrorfilm, der mit dem Verlust von vertrauten Erinnerungen spielt.
Das Schöne an „I Saw the TV Glow“ ist, dass Schoenbrun die Geschichte in keine der beiden (fluiden) Realitäten verankert. Möglicherweise hat Maddy sogar schon mehr über ihre unsichtbare Verbindung verstanden, als Owen sich selbst eingestehen mag. Als er buchstäblich in sich hineinschaut, ist der dunkle Raum vom Schein eines Fernsehbildschirms erfüllt.