Das Studio war sein Instrument
Bob Marley steckt in der Krise. Mit seiner Band, den Wailers, hat er ein paar kleinere Erfolge gehabt, doch 1970 geht es nicht richtig weiter.
Dann trifft der junge Musiker eine Entscheidung, die sowohl für seine Karriere als auch für das Reggae-Genre wegweisend sein sollte: Er sucht Rat beim neun Jahre älteren Produzenten Lee „Scratch“ Perry, dem gerade alles zu gelingen schien. Und tatsächlich setzt Perry auch Bob Marley, den er eine zeitlang bei sich wohnen lässt, aufs Erfolgsgleis.
Er produziert für die Wailers eine Serie von Hits, darunter „Small Axe“, „Duppy Conqueror“ und „Soul Rebel“. Anschließend steigt Marley zum Superstar auf, während Lee Perry seine produktivste Schaffensphase weiter vorantreibt. Auf seinem Label The Upsetter bringt er zwischen 1969 und 1974 rund hundert Singles heraus und etabliert sich als eine der innovativsten Kräfte der jamaikanischen Musik.
Geboren im März 1936 als Rainford Hugh Perry im Provinzstädtchen Kendal, wächst er in ärmlichen Verhältnissen auf, geht mit 15 von der Schule ab und arbeitet als Bauarbeiter. Beim Traktorfahren begeistern ihn die Geräusche.
„Ich habe alles von Steinen gelernt“, hat Lee Perry Jahre später einmal behauptet. Vor allem aber hat er ab den späten Fünfzigern in den Studios der damals angesagten Produzenten in der Hauptstadt Kingston gelernt: Zuerst bei Coxsone Dodd und später bei Joe Gibbs. Vom Laufburschen arbeitet er sich hoch zum Songschreiber und Produzenten.
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Von beiden Studiobossen fühlt sich Lee Perry nicht ausreichend gewürdigt, was er nach seinem Abschied jeweils in Songs verarbeitete. Einer davon – der gegen Gibbs gerichtete Hit „People Funny Boy“ aus dem Jahr 1968 – gibt den Anstoß für die Transformation von Ska und Rocksteady in den langsameren Reggae.
Außerdem ist es einer der ersten Songs, in denen ein Sample vorkommt: Perry hatte das Schreien eines Babys in den zuckelnden Rhythmus gemixt. Das Experimentieren mit Alltagsgeräuschen und die Suche nach neuen Klangwelten werden typisch für Lee Perry, der 1973 hinter seinem Haus in Kingston ein Studio mit dem Namen Black Ark aufbaut. Es ist eine vibrierende Kreativzelle mit dem nur 1,50 Meter großen Perry als manisch-genialem Zeremonienmeister an den Schalthebeln.
In den Upsetters hat er eine exzellente Hausband, die er mit zahlreichen jamaikanischen Musiker*innen zusammenbringt und mit der er seine Klangvorstellungen verwirklicht. Die Upsetters-Alben „Blackboard Jungle Dub“ (1973) und „Super Ape“ (1976) sind Klassiker, die für Lee Perrys zweite – von King Tubby inspirierte – große Innovation stehen: den Dub.
Weiterhin auf einem Offbeat-Fundament ruhend, werden die eingebremsten Songs durch Hall- und Echoeffekte und nach vorne gerückte Bassspuren zu tiefenentspannten Groovemonstern. Lee Perry, dessen Beinamen von dem Song „Chicken Scratch“ stammt, benutzt sein Studio nun wie ein Instrument. Erstaunlicherweise reicht ihm dafür ein Vierspur-Gerät.
Perry wird immer bekannter und arbeitet auch mit britischen Musikern wie The Clash, Johnny Rotten, Robert Palmer und Paul McCartney. Allerdings geht es auf dem Gelände des Black Ark Studios zunehmend chaotisch zu, viele Leute hängen nur herum und kiffen. Perry spricht dem Ganja sowie anderen Drogen ebenfalls übermäßig zu und verhält sich zunehmend erratisch.
1979 brennt sein Studio ab. Perry sagt, er habe böse Geister austreiben müssen. Von da ab wohnt er erst in London, später mit seiner zweiten Frau in der Schweiz. Eine Weile malt er nur, dann nimmt er wieder abgedrehte Musik auf.
Am Sonntag ist Lee „Scratch“ Perry mit 85 Jahren auf Jamaika gestorben. Im November wird sein neues Album erscheinen. Es trägt den viel versprechenden Titel „Lee ,Scratch’ Perry’s Guide To The Universe“.