Platznot: Wird das Mies van der Rohe Haus kaputtgespart?
Licht und Schatten legen sich wie ein transparentes Gefäß um die Bodenvase des deutschen Keramikkünstlers Otto D. Douglas-Hill, die einst in dem Wohnhaus stand, das Ludwig Mies van der Rohe 1932 für das Sammlerehepaar Martha und Karl Lemke entworfen hat. Die flirrende Doppelbelichtung stammt von Michael Wesely, dem Meister der Langzeitbelichtung, der den Dingen wie auch den Orten eine beeindruckende Luzidität verleiht und sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart changieren lässt. Das Objekt und sein Hohlraum im Raum der Transparenz im Raum der Architektur Mies van der Rohes.
„Zwischen Gebrauch und Kontemplation – Elementare Gefäße. Eine andere Erzählung der Moderne“ heißt die derzeitige Ausstellung Mies van der Rohe Haus (bis 5.11.), die mit zeitgenössischer Keramikkunst aus Deutschland, Österreich und Japan die Beziehungen von Tongefäß und Raum untersucht.
Raum im Raum, umgeben von Grünflächen
Der Raum steht auch im Zentrum aktueller Debatten um das Lichtenberger Mies van der Rohe Haus. Denn das kleine architektonische Juwel könnte allmählich zum Opfer seines eigenen Erfolgs werden. Für die interessierten Menschenströme reichen die lediglich 120 Quadratmeter Ausstellungsfläche schon lange nicht mehr.
Seit der Eröffnung im Jahr 2006 hat die engagierte Direktorin Wita Noack dem einstigen Wohnhaus zu neuer Strahlkraft und überregionalem Ansehen verholfen, es zu einem Publikumsmagneten und Kompetenzzentrum für das Wirken des Architekten der Neuen Nationalgalerie in Berlin entwickelt. Mit ambitionierten Forschungs- und Rahmenveranstaltungen rund um das Werk und das Denken des letzten Bauhaus-Direktors, mit spannenden Ausstellungen zum Namensgeber sowie von renommierten zeitgenössischen Künstler*innen, die auf die besondere Architektur eingehen. Das letzte Wohngebäude, das Mies van der Rohe vor seiner Emigration in die Vereinigten Staaten realisiert hat, ist ein vielfältiger Impulsgeber für fruchtbare Dialoge von historischer Moderne, Gegenwart und Zukunft.
Die dramatische Platzsituation jedoch beschäftigt Noack, den aktiven Freundeskreis und die Fachwelt schon seit 2017 und seither haben Studierende von Wien bis Harvard sowie namhafte Architekt*innen Ideen und Entwürfe für einen Erweiterungsbau entwickelt. Der Berliner Architekt Sergej Tschoban schlägt gar ein unterirdisches Gebäude vor. Das könnte auch die Bedenken der Denkmalschützer*innen befrieden, die den Garten und die großzügige Freifläche mit Blick auf den Obersee im jetzigen Zustand erhalten wollen.
Nun hat sich eine neue Option aufgetan. In unmittelbarer Nachbarschaft steht zukünftig ein Gebäude zum Angebot, das sämtliche Platz- und Denkmalschutz-Probleme lösen würde und obendrein die Tradition der Moderne stilistisch weiterführt. Der zweistöckige Kubus mit seiner Fassade aus polierter Terrakotta des Berliner Büros Barkow Leibinger verfügt zu ebener Erde über ein angemessen großes Veranstaltungsforum und im Obergeschoss über Räume für Büros.
Mit einer Kaufsumme von 3,9 Millionen Euro ist es kein ausgesprochenes Schnäppchen, doch dafür sind die Umbaukosten überschaubar. „Das Architektenhaus könnte ohne größere Maßnahmen sofort genutzt werden“, sagt Noack. „Zu unseren Symposien können wir momentan maximal 40 Personen zulassen, dabei haben wir oft bis zu 100 Anmeldungen und da zu unseren Ausstellungseröffnungen durchschnittlich 200 Besucher kommen, jage ich sogar im Winter Leute auf die Terrasse.“
Authentischer Bauhaus-Bau: Der einzige aus dieser Zeit in Berlin
Das große Publikumsinteresse zu kanalisieren wäre nicht nur aufgrund der Enge vonnöten, sondern vor allem um die historische Substanz zu entlasten. Immerhin ist das Haus Lemke, mit dem Mies van der Rohe in einer faszinierenden Verbindung von Innen und Außen auch die bis Heute wichtigen Fragen um Architektur und Natur, um Mensch und Natur in Einklang gebracht hat, der einzige authentische Bau in Berlin aus dieser Zeit im Bauhaus-Stil.
Kultursenator Joe Chialo hält sich auf Anfrage des Tagesspiegels bedeckt: „Die aktuelle Situation des Mies van der Rohe Hauses sowie die Option des Kaufs eines Nachbargebäudes sind unserem Haus bekannt. Wir halten diesen Ort für ein Kleinod im östlichen Teil unserer Stadt. Wir haben dazu bereits erste Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen begonnen. Es gibt jedoch noch grundsätzliche strukturelle Fragen zu dem Komplex sowie zur finanziellen Dimension. Entscheidungen dazu möchte ich nicht vorwegnehmen.“
Im Sommer 2025 geht Wita Noack in den Ruhestand. Bis dahin möchte die Architekturhistorikerin ihr „Einhundert Prozent Mies van der Rohe-Haus“ sicher wissen und das Stammhaus für die Zukunft so umwidmen, dass sämtliche Räume für die Besucher*innen zugänglich sind. Die Möglichkeit eines Ankaufs des benachbarten Baus wäre für diesen besonderen Ort und das höchst lebendige Denkmal – nicht zuletzt auch im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit – eine einmalige und unwiederbringliche Chance.