Zwei Künstler lassen es laut werden für die Augen

Merkst du, was ich merke / Wenn ich den Output verstärke? … So geht der Song mit dem Titel „Verstärker“ los. Als die Band Blumfeld 1994 ihr zweites Album veröffentlichte, war der Künstler Gerold Miller gerade Anfang 30 – ein Alter, in dem man gemeinhin noch aufgeschlossen ist für neuere Tendenzen in der Popmusik.

Aber es bleibt natürlich eine wilde Spekulation, anzunehmen, dass ihn beim Hören dieses Songs die Muse geküsst und er die Idee zu den nun schon seit einigen Jahren in seinem Werk vorhandenen, ja, dessen Zentrum bildenden „Verstärker“-Skulpturen. Er wäre allerdings nicht der erste. Die Mailänder Design-Gruppe Memphis ist zu ihrem Namen gekommen, als die versammelten Mitglieder am Abend der Gründung den Bob-Dylan-Song „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ hörten. Viele Künstler legen bei der Arbeit im Atelier Musik auf.

Neu bei Miller sind „Verstärker“ aus rotem Marmor

Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg … So geht es im Text von „Verstärker“ weiter. Ein guter Grund für Außenskulpturen. So steht „Verstärker 34“ tatsächlich im Garten des Mies van der Rohe Hauses, „Verstärker 8“ im Haus.

Die an den geometrischen Minimalismus von John McCracken erinnernden, frei stehenden Skulpturen hat Miller seit 2016 in seinem Repertoire. Es ist immer die gleiche L-Form mit zusätzlicher Stütze, die Miller allein in Maßstab, Material und Oberflächenbehandlung variiert. „Verstärker 34“ (2019) besteht aus spiegelpoliertem Edelstahl und misst stolze 240 Zentimeter in der Höhe. „Verstärker 8“ wurde 2016 in einer handlichen Höhe von lediglich 50 Zentimetern aus vergoldetem Messing gefertigt.

Miller lässt die „Verstärker“ auch aus Aluminium und in lackierten Varianten herstellen. Ganz neu im Portfolio sind Versionen aus rotem Marmor. Miller hat sie in diesem Jahr erstmals im Rahmen seiner Gallery-Weekend-Schau in der Galerie Wentrup präsentiert. Auf das neue Material ist er an seinem Zweitwohnsitz im toskanischen Pistoia gestoßen. Es gab die Überlegung, so einen Marmor-„Verstärker“ in den Garten des Mies van der Rohe Hauses zu stellen. Man habe sich „aus technischen Gründen“, heißt es von Seiten des Hauses, dagegen entschieden. So sieht das Konzept nun die Beschränkung auf den metallischen Glanz von Stahl und poliertem Gold vor. Das schärft den Blick auf Form und Materialität – auch der Architektur.

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„Über allem steht der konzeptuelle Zugang. Der sollte wirklich im Zentrum sein. Wie gehe ich an Mies van der Rohe, an diese Aufgabe ran? Über eine konzeptuelle Schiene“, sagt Miller im Video. Ihm wird nicht entgangen sein, dass der Grundriss des Mies van der Rohe Hauses die gleiche L-Form aufweist wie seine „Verstärker“.

Auch lässt „Verstärker 34“ mit seiner hochglanzpolierten Oberfläche an die kreuzförmigen, hochglanzverchromten, nur noch ein paar Zentimeter größeren Stahlpfeiler denken, die Mies in seinem berühmten Barcelona Pavillon verbaut hat. Beide Männer teilen zweifellos das Faible für Oberflächen aus edlem Metall oder noblem Stein.

Farbfeldlackierungen in Rolls-Royce-Qualität

„Diese sinnliche Verknüpfung von Architektur, Malerei und Skulptur …“, schwärmt Miller im Video. Die Architektur hat Mies, die Skulptur Miller besorgt. Nachdem ihm das Mies van der Rohe Haus für seine immerhin schon zweite Ausstellung Carte Blanche gegeben hatte, hat sich der Bildhauer für die Malerei Hilfe geholt.

Nicht dass es von dem Miller selbst nicht auch Flachware für die Wand gäbe, die man sich bei Wentrup im Frühjahr ansehen konnte. Darunter befanden sich zwei mit der Kreisform spielende, an Logo-Designs (etwa der Korean Air) denken lassende Varianten. Sie strahlen mit ihren Farbfeldlackierungen in Rolls-Royce-Qualität eine ähnlich kalte Perfektion aus wie die „Verstärker“. Malerei möchte man sie nicht nennen.

Groß, gerade, glänzend. Gerold Millers Skulptur „Verstärker 34“.Foto: Jens Ziehe

Malerei sollte aber her. So klopfte Miller bei dem Düsseldorfer Max Frintrop an. Und der – auch schon vierzigjährige – Nachwuchskünstler ließ sich nicht lange bitten. Zumal Millers noble Geste darauf hinauslief, ihm fast das ganze Feld, sprich: sämtliche (drei) Räume und alle Wände im Haus zu überlassen. Für seinen handlichen „Verstärker 8“ wollte Miller nur eine kleine Ecke am Eingang beanspruchen.

50 Schattierungen von Grün

„An der Wand liegt der Raum gefaltet“, hat Frintrop seine Schau etwas kryptisch im Gegensatz zu den von Miller schlicht durchnummerierten „Verstärkern“ genannt. Auch das könnte aus einem von Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer geschriebenen Song stammen. „Electric Mudd“, „Elli“, „SRV“, „Jimi James“ und „Untitled“ (It’s better to have loved and lost) heißen die eigens für den Ort geschaffenen Großformate.

Die in 50 oder mehr Schattierungen von Grün und vor allem Blau gemalten, geflossenen, getröpfelten atelierfrischen Werke schuf Frintrop à la Pollock auf dem Boden liegend und stets in einem Zug – nass in nass, nie an mehreren gleichzeitig arbeitend, zugleich um Leichtigkeit und Präzision bemüht.

[Mies van der Rohe Haus, Oberseestr. 60, bis 25.9.; Di bis So 11 – 17 Uhr.]

Die Gestik des Informell, die Freiheit des Abstrakten Expressionismus lassen augenzwinkernd grüßen. Die Möglichkeiten des Malerischen werden fröhlich erforscht – in Serie. Ein Meisterschüler des (einstmals) Neuen Wilden und Neoexpressionisten Albert Oehlen war hier am Werke war. Nicht allein bei den Titeln könnte der Gegensatz zu Miller kaum größer sein.

Eine gewisse Verbindung zu dessen skulpturalem Schaffen stellen einige in die dritte Dimension aus der Leinwand ausgreifende Arbeiten aus dem Jahr 2010 dar. Aus armen Materialien gefertigt und eher improvisiert wirkend, überwiegt aber auch hier der Gegensatz. Nicht allein zu Miller, auch zu Mies.

Die Wechselwirkungen zwischen den so maximal unterschiedlichen Werken Gerold Millers und Max Frintrops sowohl die Wirkung der einzelnen Werke als auch der Schau insgesamt und gewiss auch der Architektur … nun ja: verstärkt.

Der Ausstellungsbesucher steht etwa im Garten, umrundet „Verstärker 34“, blickt durch das großflächige, ordnende Raster der Fensterscheiben des Mies van der Rohe Hauses auf das von der grenzenlosen Freiheit des Malens kündende, mit 3,30 Metern Breite größte Frintrop-Bild in der Schau. Frintrop im Ausstellungskatalog: „Bei Querformaten mag ich es, wenn sie richtig ins Monumentale gehen, wie eine Kinoleinwand. Sonst sehen sie für mich aus wie kleine Fernseher, das will ich nicht.“ Merkst du, was ich merke / Wenn ich den Output verstärke?