Wie die Hohenzollern zu Hitlers Wahlhelfern wurden
Das V-Wort ist zum Schlüsselbegriff einer der am hitzigsten geführten geschichtspolitischen Kontroversen der letzten Jahre geworden. Denn nur, wenn der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen der Errichtung und Festigung des nationalsozialistischen Regimes „erheblichen Vorschub“ geleistet hat, kann die öffentliche Hand Restitutionsforderungen seiner Nachfahren juristisch zurückweisen. Sie fordern die Rückgabe tausender Kunstwerke und eine Entschädigung für Immobilien, die zwischen 1945 und 1949 von den Sowjets in der späteren DDR enteignet worden waren.
Entschieden wird der sogenannte „Hohenzollern-Streit“ am Ende wohl durch die Richter des Potsdamer Verwaltungsgerichts. Doch die Expertise für ihr Urteil kommt von Fachleuten wie dem Historiker Stephan Malinowski, der in einem für die Brandenburger Landesregierung erstellten Gutachten die V-Frage entschieden bejaht hatte.
Der Einfluss der Entthronten
Sein Buch über „Die Hohenzollern und die Nazis“, das er am Dienstag in Berlin vorstellte, war mit Spannung erwartet worden. Vom Begriff des „erheblichen Vorschubs“ hält Malinowski nicht viel. Er stamme aus der „Blackbox von Juristen“ und zwänge komplexe historische Fragen in die „Zwangsjacke binärer Optionen“. Lieber spricht er von „Kollaboration“.
Malinowski, der an der Universität von Edinburgh lehrt, gilt als einer der besten Kenner der Materie, seit er 2003 sein Buch „Vom König zum Führer“ veröffentlichte, das von der Radikalisierung des deutschen Adels während der Weimarer Republik handelt. Nachdem Kaiser Wilhelm II. im November 1918 abgedankt hatte und ins niederländische Exil ging, waren die Vorrechte des Adels offiziell abgeschafft. Aber Millionen von Deutschen, konstatiert Malinowski in seiner 750-Seiten-Studie, waren auch nach der Revolution und der Einführung einer parlamentarischen Demokratie nicht von ihrem Glauben an Königtum und Kaiserhaus abgefallen. Der Adel habe weiterhin erheblichen Einfluss ausgeübt, auch wenn das „in der Verfassung nicht vorgesehen“ war.
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Malinowski nimmt ein größeres zeitliches und soziales Umfeld in den Blick als der Bremer Historiker Lothar Machtan, der vor kurzem eine Biographie über den Kronprinzen Wilhelm von Preußen (1882 bis 1951) vorgelegt hatte. Malinowskis Buch ist das Gruppenporträt dreier Hohenzollern-Generationen, vom letzten Kaiser bis zu dessen Enkel Louis Ferdinand, der als „Chef des Hauses“ die Geschicke der Dynastie bis 1996 lenkte. Prinz Wilhelm hatte seit 1918 im Exil auf der holländischen Exil Wieringen gelebt, durfte aber 1923 – auch auf Betreiben des damaligen Reichskanzlers Gustav Stresemann – nach Deutschland zurückkehren.
Wilhelm galt als Lebemann, fuhr Sportwagen, spielte Tennis und hatte zahlreiche außereheliche Affären. Sein Image in der Öffentlichkeit changierte zwischen Retter, Hallodri und Reaktionär. Spätestens Ende der Zwanzigerjahre, so Malinowski, war er „eindeutig im rechtsradikalen Milieu positioniert“. Der Historiker hat eine Fülle von bislang wenig beachteten Quellen durchforstet, vor allem zeitgenössische Presseberichte aus dem In- und Ausland.
Posieren mit Hakenkreuzbinde
Malinowski beherrscht das Stilmittel der polemischen Zuspitzung. Den Ex-Kronprinzen, der auf Fotos in Knickerbockern mit einem Hirschgeweih, lässig am Kühler seines Autos lehnend und später dann auch in Uniform mit Hakenkreuzbinde posierte, nennt er einen „It-Boy“. Zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm, der es in der SA zum Obergruppenführer brachte, und anderen adligen Mitstreitern zählt Malinowski ihn zu einer „Guerilla“, die vom ersten Tag an die Republik bekämpfte. Den Begriff hat er von der „New York Times“ übernommen, die 1921 über monarchistische Gegenrevolutionäre als „guerrilla chieftains“ paramilitärischer Organisationen berichtete.
Den Zenit seines Einflusses erreichte der in der Öffentlichkeit omnipräsente „Medienprinz“ (Malinowski) 1932, als er kurzzeitig davon träumte, an die Staatsspitze zu gelangen. Unterstützt von den Nationalsozialisten wollte Wilhelm bei den Präsidentschaftswahlen gegen den Amtsinhaber Hindenburg antreten und nach seinem Sieg als Gegenleistung Hitler zum Reichskanzler ernennen. Als dieses Vorhaben durch ein Machtwort seines Vaters aus dem Doorner Exil beendet wurde, rief der Prinz dazu auf, im zweiten Wahlgang Hitler zum Präsidenten zu wählen. Am Ende war es dann Hindenburg, der Hitler zum Kanzler machte.
[Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration. Propyläen Verlag, Berlin 2021. 752 Seiten, 35 €]
Der Preußen-Prinz habe die Brutalität der Nazis unterschätzt und sich selber überschätzt, sagte Malinowski bei der Diskussion in Berlin. Die in Hinterzimmern verabredeten Intrigen, bei denen die Kooperation des Ex-Thronfolgers mit den Nationalsozialisten schließlich in Kollaboration umschlug, schildert der Historiker mit den Spannungsmitteln eines Kriminalschriftstellers. Wichtigster Schauplatz war dabei pikanterweise das Potsdamer Schloss Cecilienhof, in dem Wilhelm Hitler, Göring und Goebbels empfing. Seine Nachfolger wollten dort nun ursprünglich ein lebenslanges Wohnrecht fordern.