Zwischen Chemie, Lok und RB Leipzig: Der Fußball in Leipzig „kickt anders“
Leipzig Hauptbahnhof – ich bin gerade aus der Regionalbahn ausgestiegen und will eigentlich auf direktem Weg zu einer Wohnungsbesichtigung fahren, als mein Blick auf eine Werbeanzeige fällt. Neben den üblichen Reklamen für die Shops im Bahnhof oder die BahnCard 25 entdecke ich dort auch noch ein anderes Plakat: „RBL. Kickt anders“ steht in dicken Buchstaben vor einem roten Hintergrund, dazu ein Foto vom RB Leipzig Logo.
Als ich vorher überlegt habe in Leipzig zu studieren, ist mir bei dem Gedanken an die Stadt direkt die schöne Innenstadt eingefallen, die ich vor Jahren schon einmal mit meiner Familie besucht hatte.
Ansonsten habe ich mit Leipzig vor allem die Kultur- und Musikszene assoziiert. Und natürlich den Status als Studi-Stadt, der sich in den letzten Jahren als absolutes Trend-Ziel für Studierende wohl noch mehr bestätigt hat. An den Fußball habe ich dabei eher erst an zweiter Stelle gedacht und das, obwohl es in der Messestadt gleich drei große Vereine gibt.
Im Ersti-Beutel der Uni gab es Red Bull Dosen
Dass dem Sport bei mir persönlich trotzdem eine niedrigere Rolle zukam, lag vermutlich daran, dass die beiden Traditionsvereinen BSG Chemie und Lokomotive Leipzig mittlerweile in der sportlich weniger relevanten Regionalliga Nordost spielen. Über RB kann man das zwar nicht behaupten, dem Klub wird medial aber trotzdem eine verhältnismäßig eher geringe Betrachtung geschenkt.
Aus Berlin kannte ich währenddessen die Trennung in die Fanlager zwischen Hertha und Union im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, wusste, welche S-Bahnen am Samstag-Vormittag besonders voll sind und zu welchen Uhrzeiten die Fans die Bahnhöfe einnehmen.
Diese Bilder von überfüllten Bahnsteigen oder Fanmärschen durch die Stadt konnte ich mir in Leipzig einfach nicht vorstellen. Zu sehr war ich geprägt von leeren Rängen der Red-Bull-Arena oder Videos über die schlechte Stimmung während der Spiele.
Mittlerweile lebe ich etwas mehr als ein halbes Jahr in Leipzig und kann sagen, dass sich dieses Bild zumindest in Teilen verändert hat: Sichtbar ist der Fußball hier in Leipzig auf jeden Fall. Und damit meine ich natürlich nicht nur das eine Plakat am Bahnhof. Ganz im Gegenteil findet man die Saisonkampagne des Bundesligisten: „RBL. Kickt anders“ überall verteilt in der Stadt, egal ob an Häuserwänden, Litfaßsäulen oder sogar ganzen Straßenbahnen, die mit dem Logo des Vereins geziert sind.
Und auch in meinem eigenen Uni-Alltag ist Rasen-Ballsport überraschend präsent. Ob mit einem Blick aus dem Fenster des Sport- und Bildungs-Campus, von wo aus man die gegenüberliegende Red-Bull-Arena sehen kann oder Red-Bull-Dosen samt vergünstigter Tickets in den so beliebten „Ersti-Beuteln“.
Dass RBL damit vor allem neue Fans anziehen will, ist auch klar, wenngleich die meisten Studierenden schon andere Vereine unterstützen oder lieber zum früheren DDR-Spitzenklub und der politisch eher linksorientierten Chemie gehen.
Vor allem Familien gehen gerne zu den Heimspielen von RBL
Feststeht aber auch, dass die Red-Bull-Arena am Ende trotzdem bei fast jedem Heimspiel relativ gut gefüllt ist. Ob dabei tatsächlich so oft alle Karten ausverkauft sind wie von der Klubseite angegeben oder vielleicht doch ein wenig an den endgültigen Zahlen gefuscht wird, sei nun mal dahingestellt. Denn fest steht unabhängig davon, dass es regelmäßig weit über 30.000 Fans ins ehemalige Zentralstadion zieht.
Mit einem Blick auf die Zuschauerränge fällt dabei vor allem eins auf: Das Publikum bei RB ist auffällig jung. Nicht selten kommen mir nach den Spielen am frühen Samstagabend auf meinem Spaziergang durch die Leipziger Parks junge Kinder in Poulsen, Xavi oder Olmo Trikots gemeinsam mit ihren Eltern entgegen.
Verwunderlich ist das nur so lange, bis man selbst einmal bei einem RB-Heimspiel war: Mit Hüpfburgen und anderen Attraktionen direkt vor dem Stadion herrscht vor und nach den Partien eine fast Freizeitpark-ähnliche Stimmung, die Kinder natürlich umso mehr anzieht. Zumal die jungen Fans die erste Generation sind, die mit dem erst 2009 gegründeten Verein aufwachsen.
Mit Blick auf Chemie und Lok könnte der dahingehende Kontrast innerhalb einer Stadt wohl kaum größer sein. Die beiden Traditionsvereine schauen auf eine lange Geschichte zurück und feierten ihre sportlichen Erfolge eher im letzten Jahrhundert.
Links gegen rechts
Trotz des sportlichen Abstiegs in die Regionalliga können die Klubs sich auf treue Fans verlassen, sind für ihre aktiven Fanszenen sogar deutschlandweit bekannt. Noch einmal besonderer wird dieses Stadtderby dabei durch die politische Brisanz – während die Ultra-Gruppierungen von Lok als mehr oder weniger offen rechts gelten, positioniert sich die Szene von Chemie im linken Spektrum.
Und obwohl RB die offiziellen Werbeflächen dominiert, finden durchaus auch Chemie und Lok ihre Plätze im Stadtbild. So sind nicht wenige Hauswände hier mit Graffitis der beiden Vereine geschmückt. Als weiterer Alternative bieten sich speziell Ampeln, Straßenschilder oder Pfeiler an, die, wie in anderen Städten auch, gerne als Schauplätze eines regelrechten Sticker-Battles genutzt werden.
Vereint werden die beiden Rivalen dabei lediglich in ihrer Abneigung gegenüber RB Leipzig, die einen stetigen Anstieg von neuen Fans verzeichnen können. An Spieltagen dominieren die „Roten Bullen“ regelmäßig die Innenstadt und Straßen rund um die Red-Bull-Arena. Chemie und Lok können bei den Zehntausenden Fans zahlenmäßig mittlerweile nicht mehr mithalten.
Die beiden Regionalligisten ziehen sich stattdessen eher in ihre „eigenen“ Stadtteile zurück. So wurde Lok Leipzig in Probstheida gegründet und trägt dort bis heute in der Nähe des Völkerschlachtdenkmals seine Heimspiele aus. Chemie hingegen ist im nordwestlichen Leutzsch sowie dem dort stehenden Alfred-Kunze-Sportpark beheimatet. Die drei Fußballvereine sind dadurch auch räumlich innerhalb der Stadt getrennt, was direkten Aufeinandertreffen entgegengewirkt.
Insgesamt bleibt die Fankultur in Leipzig aber trotzdem eine ganz besondere: Gezeichnet von gleich drei Vereinen mit Fanszenen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und so konnte ich hier in der Stadt eine Vielfalt kennenlernen, die ich vor gut einem halben Jahr definitiv nicht erwartet habe.